Zeitgeschichte
Initiative für ein würdiges Denkmal in der Reichenau

Diese schlichte Tafel in der Rossaugasse erinnert an die Toten des Lagers Reichenau. | Foto: Stadtblatt
  • Diese schlichte Tafel in der Rossaugasse erinnert an die Toten des Lagers Reichenau.
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  • hochgeladen von Georg Herrmann

INNSBRUCK. "Denkmäler und die Diskussion um deren Errichtung spiegeln den gesellschaftlichen Umgang mit der Vergangenheit wider. " schreibt Horst Schreiber auf erinnern.at. Eines dieser Denkmäler steht in der Rossau. Eine Initiative kämpft um eine würdige Gedenkstätte für die NS-Opfer des Lagers Reichenau.

Opfer des Holocaust

Jährlich findet eine Gedenkveranstaltung mit Kranzniederlegung zum Gedenktag an die Opfer des Holocausts beim Denkmal in der Rossau statt. Die Wichtigkeit und Bedeutung stehen außer Frage, der Standort des Gedenksteins, denn "Wahrgenommen wird das Denkmal von den Tausenden, die dahinter immer wieder fein säuberlich ihren Müll trennen, kaum." Die langjährige Initiative zur Neugestaltung dieser Gedenkstätte wieder aufzugreifen erhält jetzt auch politischen Zuspruch. „Seit 1972 erinnert ein Gedenkstein an die NS-Opfer des Lagers Reichenau. Das Denkmal befindet sich in einem dunklen Eck am westlichen Rand des IKB-Recyclinghofes und der Zufahrt zum städtischen Zentralbauhofes. Das Zu- und Abfahren von Fahrzeugen und die Lärmentwicklung durch den Recyclinghofes macht ein stilles Gedenken fast unmöglich. Zudem ist der Standort des Gedenksteines nicht der Platz, wo sich das Gestapo-Auffanglager befand. Man sollte parteiübergreifend und unter Einbeziehung von Historikern jetzt die eingeschlafene Initiative neu aufgreifen, um den NS-Opfern dieses Lagers eine würdigere Gedenkstätte zu errichten“, fordert LA Martina Nowara einen neuen Platz für diese Gedenkstätte ein. „In diesem Sinne unterstütze ich auch die Vorschläge von Matthias Breit, der die heutige Gedenkveranstaltung dankenswerterweise organisiert hat“, so Nowara abschließend.

Kulturausschuss

„In der Stadt Innsbruck ist allen Beteiligten seit etlichen Jahren klar, dass die unwürdige Gedenksituation rund um das Lager Reichenau eine offene Wunde ist“, erklärt die Vorsitzende des gemeinderätlichen Kulturausschusses, SPÖ-GR Irene Heisz. „Ich werde mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Kulturausschuss besprechen, wie wir zu einer würdevolleren, angemessenen neuen Lösung kommen.“ Das 1974 beim Eingang zum heutigen Recyclinghof errichtete Denkmal hatte damals seine Berechtigung, galt sogar als progressiv. Heute ist klar, dass die Inschrift inhaltlich nicht mehr haltbar und der Standort alles andere als ideal ist. Ebenso unbestritten ist, dass es bei einem für die jüngere Stadtgeschichte so wesentlichen Thema nicht mit einer allenfalls erneuerten Bronzetafel getan sein kann, sondern einer umfassenderen, größer gedachten Lösung bedarf. Eine zivilgesellschaftliche Initiative von Matthias Breit, an der Heisz im Jahr 2015, also Jahre vor ihrem Einstieg in die Kommunalpolitik, persönlich beteiligt war, ist in den vergangenen Jahren im Sand verlaufen. Der Vorschlag damals war, den Standort in Richtung Inn zu ver- und einen „Garten der Erinnerung“ anzulegen. „Aus meiner Sicht ist das nach wie vor ein Ansatzpunkt, von dem aus wir im Kulturausschuss jedenfalls weiterdenken könnten. Wir nehmen unseren Auftrag, die städtische Gedenkkultur zeitgemäß weiterzuentwickeln, sehr ernst und haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren einiges vorangebracht: von der überfälligen Korrektur des öffentlichen Bildes von Burghard Breitner über die Gedenktafel für Diana Budisavljević, die bestellt ist und demnächst geliefert wird, bis hin zur Vorgangsweise in Sachen dezentraler, persönlicher Gedenkzeichen, die wir gerade in diesen Wochen behandeln.“ Heisz abschließend: „Das Thema Reichenau liegt auf dem Tisch und kommt als nächstes dran. Es ist aber wichtig, dieses spezielle Thema nicht mit den vorher genannten zu vermischen, weil es sich dabei um wieder andere Gruppen von Opfern handelt, die eben auch gesondert zu betrachten und zu würdigen sind.“

Lager Reichenau

Das Lager Reichenau in Innsbruck-Reichenau wurde im August 1941 im Auftrag des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) Berlin in Zusammenarbeit mit dem Landesarbeitsamt Innsbruck errichtet. Bis zum Sommer 1942 diente es seinem ursprünglichen Zweck als Auffanglager für italienische Zivilarbeiter, die aufgrund der zunehmenden Bombenangriffe im Jahre 1942 auf die deutschen Industriezentren nach Italien zurückkehrten. Diese sollten im Lager Reichenau gesammelt und dem Arbeitsamt als Zwangsarbeiter zugeführt werden. Da aber immer weniger italienische Zivilarbeiter aufgegriffen wurden, wurde das Lager zum Arbeitserziehungslager umfunktioniert. Es unterstand in dieser Form direkt dem jeweiligen Leiter der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle Innsbruck und war dazu bestimmt, „die im Gau Tirol/Vorarlberg wegen Arbeitsvertragsbruchs, Blaumacherei oder Dienstpflichtverweigerung auffallenden männlichen Personen aufzunehmen und durch strikte Disziplin und schwere Arbeit zu brauchbaren Volksgenossen zu erziehen.“ Gegen Ende des Krieges wurden zunehmend auch politische Häftlinge der Gestapo Innsbruck in der Reichenau gefangengehalten. Ab 1943 diente das Lager auch als Durchgangslager für Juden aus Norditalien auf dem Weg ihrer Deportation, die seit 1944 vielfach aus dem Durchgangslager Bozen kamen. Insgesamt waren im Lager Reichenau rund 8500 Personen inhaftiert, von denen nachweislich 130 Menschen ermordet wurden oder durch unmenschliche Behandlung den Tod fanden. Im April 1945 waren hier die 141 Sonder- und Sippenhäftlinge, die kurz darauf in Südtirol befreit wurden, für ein paar Tage untergebracht. Nach dem Krieg diente das Lager als Unterkunft für sogenannte Displaced Persons und später für Menschen ohne oder mit niedrigem Einkommen bevor es in den siebziger Jahren abgerissen wurde.

Gedenkstein

Seit 1972 erinnert am ehemaligen Grundstück ein Gedenkstein an die Opfer des Lagers Reichenau. Er trägt die Inschrift:

Hier stand in den Jahren 1941–1945
das Gestapo-Auffanglager Reichenau,
in dem Patrioten aus allen von National-
sozialismus besetzten Ländern inhaf-
tiert und gefoltert wurden.
Viele von ihnen fanden hier den Tod.

Standort

Im Gemeindemuseum Absam fand 2015 eine Votrag unter der Devise: "Das Lager, das Denkmal und der Müll" statt. In der Einladung stand: "Das im Jahr 1972 errichtete Denkmal in der Reichenau gibt aber bis heute wenig Auskunft über diese Geschichte: Die größte Häftlingsgruppe, die tausenden Zwangsarbeiter, die die Gestapo in der Reichenau von 1942 bis 1945 eingesperrt hatte und die im Zuge ihrer Bestrafung im Großraum Innsbruck in Außenkommandos Strafarbeit leisten mussten, wird nicht einmal erwähnt. So hat die Stadt den Bombenräumkommandos aus der Reichenau die Beseitigung zahlreicher Blindgänger ab Dezember 1943 zu verdanken. Auch das rote Dreieck am Denkmal suggeriert, dass es sich um ein Lager für politische Häftlinge gehandelt hätte (in den Konzentrationslagern stigmatisierte die SS die Politischen mit einem roten, dreieckigen Stoffaufnäher). Auf einem Wegweiser wird aus dem Gestapolager Reichenau ein Konzentrationslager gemacht. Aber gerade aufgrund dieser zahlreichen »Unstimmigkeiten« gibt das Denkmal Auskunft über die Grenzen der Erinnerung an den Nationalsozialismus in Tirol ab den 1970er Jahren. Wahrgenommen wird das Denkmal von den Tausenden, die dahinter immer wieder fein säuberlich ihren Müll trennen, kaum … "

Vielfältige Geschichte

Johannes Breit schreibt schreibt zum Tag des Gedenkens 2008 - Tagung „Zwei Recherchen zur Stadtgeschichte von Bozen und Innsbruck: "In einem Durchgangslager, in einem Arbeitserziehungslager war es für Häftlinge fast unmöglich, sich zu organisieren. Die Haftdauer war oft zu kurz, die Häftlinge nach Nationalität isoliert. Im Gegensatz zu zahlreichen Konzentrationslagern haben sich nach der Befreiung kaum Lagergemeinschaften von ehemaligen Häftlingen aus Arbeitserziehungslagern gebildet. Die Lagergemeinschaften waren es aber, die den Grundstein für die öffentliche Erinnerung gelegt haben. In Innsbruck hat es bis Anfang der siebziger Jahre gedauert, bis ein Denkmal am ehemaligen Lagerareal errichtet wurde. Zum Abschluss möchte ich hier an ein spezielles Arbeitskommando des Lagers erinnern - an das Bombenkommando. Vorwiegend italienische Häftlinge des Lagers Reichenau wurden seit den ersten Bombenangriffen auf Innsbruck im Dezember 1943 gezwungen, die zahlreichen Blindgänger zu bergen und Langzeitzünderbomben zu entschärfen. Diese Bomben waren bis zu sechs Tage lang scharf und stellten damit eine tödliche Falle für die Menschen dar, die nach einem Bombenangriff aus den Luftschutzbunkern wieder auf die Straße kamen. Eine falsche Bewegung beim Entschärfen konnte das Leben kosten."

Aufarbeitung

2014 wur die die Weiterführende Aufarbeitung der Geschichte in den sozialen Netzwerken angeregt: "Begeht man das Gelände etwas großräumiger oder betrachtet es aus der Luft stößt mann/frau in der Parallelstraße, der „Trientlgasse“, auf ein Umspannwerk und einen eigentümlichen Komplex der an den Charme von Kasernenbauten der 30/40er Jahre erinnert. Das größte Gebäude am Gelände Richtung Langer Weg ist noch am ehesten dokumentiert und diente als Landwirtschaftliche Schule die später nach Rotholz verlegt wurde. Am hinteren Teil stehen scheinbar ausrangierte od. Reparaturbedürftige Fahrzeuge der Exekutive und es gibt wage Hinweise, dass dieses Gelände dem Innenministerium gehören könnte. Die Garagenartige Anlage täuscht allerdings nicht darüber hinweg, dass sich hier ehemals auch etwas „militärisches“ abgespielt haben muss. Die These lautet, dass das ehemalige Lager gar nicht zur Gänze abgerissen wurde und die Nachkriegsnutzung der Allierten als Zentrum für „displaced persons“ weitergeführt wird/wurde. Die ehemals landwirtschaftliche Schule dient heute als „Flüchtlingsheim Reichenau“.

Buchtipp

Johannes Breit: Das Gestapo-Lager Innsbruck-Reichenau. Geschichte, Aufarbeitung, Erinnerung, Innsbruck – Wien 2017; € 24,95, Tyrolia-Verlag
Im Andenken an seinen Großvater, selbst Reichenau-Insasse, beleuchtet der Autor Entstehung, Nutzung und den Umgang der Nachwelt mit dem Arbeitslager Reichenau und gibt Einblicke in das Leben der Häfltinge anhand unterschiedlichster Dokumente, Biografien des Lagerpersonals, der alliierten Prozessakten (eines von nur zwei aliierten Nachkriegsprozessen in Ö!) und zahlreicher bisher unveröffentlichter Zeitzeugeninterviews.

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