Ausstellungseröffnung
Jüdische Familiengeschichten im Museum Neupölla
Eröffnung der Sonderausstellung "Biegler & Robitschek. Jüdische Familiengeschichten" im Museum für Alltagsgeschichte in Neupölla.
NEUPÖLLA. Das „Erste österreichische Museum für Alltagsgeschichte bietet 2023 zwei Themenschwerpunkte an: Einerseits wird die Dauerausstellung zur Zeit von 1860 bis 1960 um die Geschichte der jüdischen Familie Biegler erweitert. Simon Biegler wanderte 1860 aus dem mährischen Markt Schaffa/Šafov nördlich von Langau ins Waldviertel und eröffnete in Neupölla eine Greißlerei. In zwei Ehen hatte er insgesamt acht Kinder. Der jüngste Sohn Alois übernahm 1910 das Geschäft von einem älteren Bruder und engagierte sich auch als Gründer eines „Rauchklub“ sowie Vorsitzender der Gewerbegenossenschaft. Mit seiner Gattin Ida, einer Verwandten der Gmünder Familie Schwarz, hatte er neben der Stieftochter Irma vier Töchter.
Vertreibung und „Arisierung“
1938 wurde die Familie verprügelt und vertrieben, das Haus vom Nachbarn „arisiert“. Alois, Ida und Ella Biegler wurden 1942 nach Riga deportiert und ermordet. Irma überlebte in Wien, die Töchter Laura und Flora konnten nach England flüchten, Martha nach Dänemark.
„Wein des Vergessens“
Dazu präsentiert das Museum vom 1. Mai bis 27. August 2023 die Sonderausstellung „Der Wein des Vergessens.“ Die Kremser Riede Sandgrube – eines der berühmtesten Weingüter der Wachau – befand sich bis 1938 im Besitz des jüdischen Geschäftsmanns Paul Robitschek und seines Partners August Rieger. Robitschek und der angebliche Baron sind Geschäftsfreunde und zugleich ein glamouröses Liebespaar. Die Denunziationen erleichtern die „Arisierung“ jenes Besitzes, der zur Grundlage der berühmten Winzergenossenschaft Krems wird. Die auf dem Buch „Der Wein des Vergessens“ der Historiker Bernhard Herrmann und Robert Streibel basierende Ausstellung zeigt private Fotos und Dokumente, Briefe und Tagebuchausschnitte aus dem Besitz von Bernhard Herrmann, einem Nachkommen des damaligen Verwalters des Kremser Weingutes.
Ehrengäste
Bei der Eröffnung am 1. Mai konnten Bürgermeister Günther Kröpfl und Vizebürgermeisterin Sandra Warnung zahlreiche Festgäste begrüßen, darunter die Obfrau der Nö. Dorf- und Stadterneuerung ÖkR Maria Forstner, die Geschäftsführerin des Nö. Museumsmanagement Mag. Ulrike Vitovec, BH-Stellvertreterin Mag. Margarita Wormser, OStR Dr. Erich Rabl, den Ehrenpräsidenten des Waldviertler Heimatbundes sowie den Horner Museumsdirektor Anton Mück. Eigens aus England angereist war Barbara Dartnall, eine Tochter von Flora Biegler und dem aus einer jüdischen Familie in Krumau/Kamp stammenden Oskar Wolf, mit ihren Töchtern Christine Seymour und Diane Hazeldon.
Traumatisert
Flora und Oskar Wolf haben aufgrund der traumatischen Ereignisse nach 1938 – sowohl ihre Eltern als auch weitere Verwandte waren von den Nazis ermordet worden – ihren Töchtern nichts davon erzählt und auch untersagt, deutsch zu sprechen. Erst zufällig hat Frau Dartnall 2019 im Internet von den Aktivitäten in Neupölla und von der Existenz ihres Cousins Tom Biegler in Australien erfahren. Museumsleiter Friedrich Polleroß schilderte die seither gewonnen Kenntnisse, vor allem die Existenz der bisher unbekannten jüdischen Kaufmannsfamilie Wolf in Krumau sowie Informationen zur Familie von Seligman Biegler in Dietmanns.
Erinnerung notwendig
Polleroß verwies auf die sinnvolle Ergänzung der lokalen Museumsgeschichte von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, die bisher anhand der Kleinhäuslerfamilie Walter (Besitzer des Museumsgebäudes) sowie am Beispiel der Handwerkerfamilie Krammer (Schusterwerkstätte) behandelt wurde, um das Schicksal der Familie Biegler. Und er betonte, dass es auch aufgrund der kaum mehr vorhandenen Zeitzeugen und der aktuellen politischen Entwicklungen in Niederösterreich sowie des wieder wachsenden Rassismus und Antisemitismus umso notwendiger sei, Erinnerungsorte an die Verfolgung der jüdischen Mitbürger zu schaffen. Der Kremser Historiker Robert Streibel beschrieb nicht nur die Ereignisse des Kremser Weingutes im Jahre 1938, sondern auch die anfänglichen Schwierigkeiten der historischen Aufarbeitung. Doch die Winzer Krems haben sich der Geschichte gestellt, und die Ausstellungeröffnung auch mit einer Spende von Kremser Wein unterstützt.
Dank an Historiker
Die feierliche Eröffnung erfolgte durch den ÖVP-Nationalratsabgeordneten Lukas Brandweiner, der den beiden Historikern für ihre wichtige Arbeit dankte und der Marktgemeinde Pölla zu ihren musealen Aktivitäten gratulierte. Umrahmt wurden die Reden vom Musikverein Pölla unter Kapellmeisterin Elisabeth Bichl mit Musik von Jacques Offenbach und George Gershwin. Um die „koschere Küche“ wird es hingegen bei den Veranstaltungen am 20. und 21. Mai gehen.
Das Museum ist von 1. Mai bis 26. Oktober jeden Sonn und Feiertag von 14:00 bis 17:00 Uhr geöffnet. Gruppen sind auch außerhalb dieser Zeiten herzlich willkommen. Weitere Informationen: www.poella.at/Museum
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