Familienflüsterer Dr. Streit
Neustart, aber wie?
Psychologe und WOCHE-Familienflüsterer Philip Streit gibt Tipps, wie eine ungewisse Zukunft mit vorsichtigem Optimismus gelingen kann.
„Vorsichtiger Optimismus ist angesagt“, so die Meldungen. Wir reden von Neuanfang, dass unser altes Leben wieder beginnen kann. Doch hat nicht vor etwa sechs Wochen alles schon neu begonnen? Schritt für Schritt mussten wir lernen, uns neu zu organisieren, Abstand zu halten, Masken zu tragen und achtsam im Umgang mit anderen zu sein.
Es ist fast zynisch in der durch das Coronavirus entstandenen existentiellen Not auch von neuen Chancen zu sprechen, aber wir konnten tatsächlich einiges neu beziehungsweise wieder entdecken. Wir erkennen jetzt den Wert des Miteinander wieder. Wir erkennen, dass wir gemeinsam alles schaffen können. Dass Beziehung auch in liebender Distanz gut möglich ist. Dass Aufschub und Verzicht nicht nur negativ sind. Dass Entschleunigung und Langsamkeit durchaus wohltuend sein können.
Zwei Möglichkeiten
Was heißt es nun unter diesen Gesichtspunkten, langsam wieder zur Normalität zurückzukehren? Welche Normalität meinen wir? Geht es einfach wieder so los wie vorher oder ist die neue Zukunft unbekannt? Was ist die neue Normalität?
Die Antwort ist einfach: Wir wissen es noch nicht. Wir wissen nicht, wie es genau weitergeht. Was wir allerdings mit Sicherheit wissen ist, dass es weiter gehen wird. Wir wissen auch, dass wir es zu einem großen Teil selbst in der Hand haben, wie unsere Zukunft aussehen wird. Wir haben Einfluss darauf wie es mit unseren Familien, mit uns selbst und unserer Arbeit weitergeht, aber natürlich nicht auf alles.
Grundsätzlich haben wir alle zwei Möglichkeiten: Uns dem Schicksal der Pandemie zu ergeben und uns unter den Tisch zu verkriechen oder handelnd zu gestalten. Letzteres gibt nach Erkenntnissen der Psychologie selbst in Zeiten einer Bedrohung innere Sicherheit, Stabilität und Zuversicht.
Tipps vom Experten
Hier nun einige Tipps, wie man die eigene Zukunft proaktiv erschafft und auch ansteuert:
1. Halten Sie inne und blicke achtsam auf sich und die anderen.
2. Erkennen Sie die Situation, in der Sie sich befinden und nehmen Sie sie hin, so wie sie ist.
3. Lenken Sie Ihren Fokus dabei immer zuerst auf das Positive. Erkennen Sie sozusagen, dass das Glas halb voll ist.
4. Machen Sie sich einen Plan von Ihrer Zukunft. Dieser Plan soll Ihnen wie ein Leuchtturm, den Weg und die Richtung weisen. Kalkulieren Sie mögliche Hindernisse und Ressourcen mit ein.
5. Bemerken Sie wenn etwas gelingt und erkennen Sie besonders die kleinen Schritte, die zum Erfolg geführt haben.
6. Lassen Sie zu, dass es auch anders kommen kann und Sie möglicherweise Ihr Ziel und Ihren Weg ändern müssen.
7. Seien Sie aktiv, handeln Sie gemeinsam mit Anderen in kleinen Schritten, an denen Sie bemerken können, dass Ihre Bemühungen erfolgreich sind.
8. Versteifen Sie sich nicht auf einen speziellen Weg, sondern ziehen Sie Kraft aus der Reichhaltigkeit und Vielfaltigkeit.
9. Holen Sie Unterstützung von anderen. Kleine Telefonate oder Videochats mit guten Freunden und Verwandten können viel Kraft bringen.
10. Seien Sie dankbar für all die Möglichkeiten, die uns die neuen Medien in schwierigen Zeiten wie diesen bieten.
So können Sie Schritt für Schritt eine ungewisse Situation strukturieren und kleine Erfolge so erleben, dass sie Sie immer mehr beflügeln.
Der Experte
Philip Streit ist klinischer Gesundheitspsychologe, Psychotherapeut, Lebens- und Sozialberater.
Seit 1994 leitet er das „Institut für Kind, Jugend und Familie“ in Graz, das auch jetzt für Sie unter 0316/77 43 44 da ist. Die "Stark und Positiv – Gerade jetzt“-Hotline ist unter 0699 16030001 rund um die Uhr erreichbar.
Web: www.ikjf.at
Leser-Fragen bitte an: redaktion.graz@woche.at
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