Umweltskandal
Altlast der Grazer Glasfabrik birgt unsichtbare Gefahren
In Graz-Gösting befindet sich das Areal einer ehemaligen Glasfabrik. Vor über 30 Jahren wurden dort massive Verunreinigungen in Boden und Grundwasser festgestellt - eine Sanierung der Altlast blieb aber bis heute aus. MeinBezirk.at hat sich mit den beiden Umweltexperten, die den Fall 1990 aufgedeckt haben, auf Spurensuche begeben.
GRAZ. Die „Glasfabrik Gösting" war ein glasverarbeitender Betrieb am nordwestlichen Rand von Graz, in dem von 1889 bis 1980 Getränkeflaschen hergestellt wurden. Das rund 2,3 ha große Areal befindet sich mitten in einem dicht bewohnten Gebiet im Grazer Bezirk Gösting. Gerade diese Nähe zum Wohngebiet sollte Jahre nach der Schließung noch zum entscheidenen Faktor in der Causa werden.
Die Glasfabrik "Hanisch, Hildebrand & Cie" wurde 1889 von Fritz Hanisch ins Leben gerufen, dem auch eine Brauerei gehörte. Es war zu diesem Zeitpunkt die einzige Flaschenfabrik der österreichisch-ungarischen Monarchie. Die Nachfrage nach den erzeugten Flaschen war entsprechend groß, sodass der Betrieb rasch vergrößert werden musste. Erzeugt wurden verschiedenste Flaschenarten - von der Bierflasche bis hin zur Champagnerflasche.
Bis ins Jahr 1926 wurden jährlich bereits ca. zwölf Millionen Flaschen mundgeblasen. In den fast 60 Jahren danach mit zunehmender Automatisierung dürften es noch um ein Vielfaches mehr gewesen sein.
Bombenangriff mit Folgen für die Umwelt
Im Jahr 1944 wurde die Glasfabrik massiv bombardiert. In der Festschrift der Glasfabrik aus dem Jahr 1957 heißt es: "Aus den Felsenhöhlen des Plabutsch, wohin die Belegschaft bei jedem Luftangriff flüchtete, musste sie zusehen, wie ihre Arbeits- und Wohnstätten in Schutt und Asche sanken." Rund 300 Bomben wurden direkt auf das Betriebsgelände abgeschossen, rund 80% des Betriebes wurden dabei zerstört. Dadurch gelangten erstmals große Mengen an Teer, das im Herstellungsprozess der Glasproduktion anfiel, auf das Betriebsgelände.
Teere entstehen durch Verkokung und Schwelung organischer Rohstoffe, wie Steinkohle, Braunkohle, Holz und Torf. Der Stoff stellt nicht nur eine Geruchsbelästigung dar, die enthaltenen polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK) sind bei Kontakt mit Luft und Licht krebserregend. Doch das Bewusstsein für die irreversiblen Schäden an der Umwelt und die davon ausgehende Gefahr für den Menschen fehlte, sodass das gesamte Gelände nach Kriegsende ohne entsprechende Säuberungen eingeebnet und die Glasfabrik darauf neu aufgebaut wurde.
Anrainerin bringt Fall ins Rollen
Am 20. Juli 1990, rund zehn Jahre nach der Schließung und erneuten Einebnung der Glasfabrik, geht ein Hinweis im Umweltamt der Stadt Graz ein. Eine Bewohnerin der angrenzenden Siedlung nimmt einen unangenehmen Geruch wahr. Werner Prutsch, heute Abteilungsleiter des Umweltamts, und Edmund Tschaußnig, mittlerweile Leiter der Kläranlage in Gössendorf, sind zu diesem Zeitpunkt beide im Referat für Lufteinhaltung und Chemie tätig. Sie gehen dem eingegangenen Hinweis nach und werden rasch fündig.
"Bei Grabungsarbeiten wurde eine Teerlinse angestochen. Man hat offensichtlich nach dem zweiten Weltkrieg in Gruben und Bombentrichter Teer gefüllt. Das war allerdings gar nicht mehr am Gelände der Glasfabrik, sondern außerhalb", schildert Werner Prutsch, mit dem MeinBezirk.at über 30 Jahre später erneut zum Ort des Geschehens spaziert. Wie die wochenlangen Recherchen von Prutsch und Tschaußnig in der Folge zeigen, war das Abladen von überschüssigem Teer außerhalb des Fabriksgeländes aber kein Einzelfall. Eigens beschäftigte "Teer-Führer" sollen noch Jahre nach dem Krieg LKW-Ladungen voll mit problematischer Schlacke und Teer im gesamten Stadtgebiet von Graz in Löcher und Bombentrichter verteilt haben.
Auch in den Medien sorgt der Fall bald für Schlagzeilen. In einem Zeitungsbericht der Kleinen Zeitung vom 20. März 1991 heißt es: "Teerrückstände im Erdreich machen das Gelände der Grazer Glasfabrik (...) zur Altlast." Der Tenor dieses und anderer Berichte: Die Altlast muss saniert werden. Nur wer die dafür notwendige zweistellige Millionensumme aufbringen soll, bleibt offen. Die ÖBB, die das Gelände zuvor gekauft hat, um eine Waggonwaschanlage zu errichten, will damals abwarten, der zitierte Vizebürgermeister Peter Weinmeister sieht die Verantwortlichkeit beim neuen Grundstücksbesitzer.
Die ÖBB lenkt schlussendlich ein. Im Zuge der Baumaßnahmen der Waggonwaschanlage werden bis 1992 rund 3.000 m3 kontaminiertes Material ausgehobenen und mit Kunststofffolie abgedeckt direkt am Gelände abgelagert. Dort liegt es noch heute.
Erneute Begutachtung und Klassifizierung
18 Jahre nachdem die Gefahrenlage für die Anrainerinnen und Anrainer publik wird, veröffentlicht das Umweltbundesamt im Jahr 2008 ein weiteres Gutachten zur Prioritätenklassifizierung der Altlast. Darin wird deutlich, dass der Boden und das Grundwasser am gesamten Gelände immer noch massiv kontaminiert ist, gewisse Bereiche sind besonders stark betroffen. "Die Teerölkontaminationen reichen auf einer Fläche von ca. 100 m2 teilweise bis in das Grundwasser und verursachen starke PAK- und Phenolbelastungen des Grundwassers. (...) Der Altstandort stellt eine erhebliche Gefahr für die Umwelt dar. Es wird die Einstufung in die Prioritätenklasse 2 vorgeschlagen." Ein sofortiges Handeln vonseiten der Behörden bleibt aber auch nach der erneuten Begutachtung aus - andernorts wird die Situation als noch dramatischer eingestuft.
Pro Jahr kann mit dem für Altlasten-Sanierung vorgesehenen Budget nur eine bestimme Anzahl an Maßnahmen gesetzt werden. "Es war aber regelmäßig über die Jahrzehnte immer so, dass der Bedarf deutlich höher gewesen wäre, weil einfach sehr viele Altlasten vorhanden sind", sagt Prutsch und führt nach längerer Gedankenpause aus: "Mein Wunsch ist einfach, das man nicht doch irgendwo etwas Gröberes übersehen hat, wodurch dann Leute zu Schaden kommen."
Ist das Trinkwasser gefährdet?
"Diese Stoffe haben die Fähigkeit, dass sie in geringsten Konzentrationen Wasser ungenießbar machen", erklärt Edmund Tschaußnig, der in seiner Funktion als Vertreter der Wasserwirtschaft versichert, dass das Grazer Trinkwasser genauestens kontrolliert werde und bislang keine Zwischenfälle dieser Art vorgekommen seien.
Die Gefahrenlage ist aber latent. Das Gelände der Glasfabrik liegt in der Außenzone des Grundwasserschutzgebietes Graz-Andritz, die Brunnen des Wasserwerkes Andritz liegen nur ca. 1.500 m entfernt. Ein unvorhergesehenes Ausschwemmen oder Mobilisieren der deponierten Stoffe hätte dramatische Folgen. Zur eigenen Sicherheit rät der Wasser-Experte Anrainerinnern und Anrainern davon ab, vorhandenes Nutzwasser nahe der alten Glasfabrik zum Gießen des Gartens und der Balkonkräuter zu verwenden.
30 Jahre später ...
Nach dem Spaziergang mit MeinBezirk.at sind die beiden Umweltexperten nachdenklich, beide sind seit Jahrzehnten nicht mehr vor Ort gewesen. Das Thema selbst habe sie aber nie ganz losgelassen. Nach mehr als 30 Jahren stehen Prutsch und Tschaußnig vor dem exakt selben Problem: Trotz seitenlanger Bescheide über die Gefährlichkeit dieser Altlast gab es bis heute keine großflächige Sanierung - auch ist nach wie vor ungewiss, wo überall in der Stadt das toxische Teergemisch aus der Glasfabrik abgelagert wurde.
"Die politisch Verantwortlichen müssten die Richtung vorgeben, nicht die Beamtenschaft. Die Politikerinnen und Politiker müssten sagen: Die Luft muss passen, aber auch der Boden muss passen. Das ist ja eigentlich ein Recht, das die Leute in Graz haben", ärgert sich Tschaußnig. Ob und wann das Gelände saniert wird, können sie nach all den Jahren nicht mehr abschätzen. Eine entsprechende Anfrage von MeinBezirk.at an die zuständige Abteilung des Landes blieb bislang unbeantwortet.
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