Mediterraner Alpenmix – "Graz persönlich" mit Schriftsteller Dževad Karahasan

Besondere Bindung zu Graz: Dževad Karahasan schätzt Graz sehr und lebt nach wie vor die Hälfte des Jahres hier. Seine Werke werden in mehrere Sprachen übersetzt und thematisieren Identität, Kultur und Nation. | Foto: Prontolux
  • Besondere Bindung zu Graz: Dževad Karahasan schätzt Graz sehr und lebt nach wie vor die Hälfte des Jahres hier. Seine Werke werden in mehrere Sprachen übersetzt und thematisieren Identität, Kultur und Nation.
  • Foto: Prontolux
  • hochgeladen von Martina Maros-Goller

Ein Autor zwischen zwei Welten und dabei ganz bei sich. Dževad Karahasan lebt in Graz und Sarajevo und ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Schriftsteller Bosnien und Herzegowinas, Professor für Literatur und Preisträger internationaler literarischer Auszeichnungen. Vielen Grazern ist er ein Begriff, war er doch sieben Jahre lang Stadtschreiber von Graz, wo er an der famosen Adresse "Schloßberg 10" wohnte und sich auch heute gerne daran erinnert.

In Graz menschelt es

"Es waren wunderbare und spannende Jahre", schwärmt Karahasan von seiner Zeit als Stadtschreiber. Viele interessante Projekte zu unterschiedlichen Themen sind in diesen Jahren entstanden. Neben den "Grazer Gesprächen" wurde auch die "Poetik der Grenze" ins Leben gerufen. "Wir haben etwa die Grenze als Ort der Begegnung und nicht als Ort der Trennung thematisiert", so Karahasan, der Graz aufgrund der liebenswerten Menschen und des idealen Mixes zwischen mediterran, Alpen und Mitteleuropa als sehr anziehend empfindet. "Graz ist groß genug, um jenen Menschen aus dem Weg zu gehen, die man nicht treffen möchte, und wiederum klein genug, um jene zu treffen, die man sehen will", lacht Karahasan und erklärt, ein leidenschaftlicher Fußgänger zu sein. "Keine zehn Mal in 15 Jahren bin ich in eine Straßenbahn gestiegen."

Sprache kennt keine Monologe

Beim Zufußgehen holt sich Karahasan auch die meiste Inspiration. Stundenlang geht er ungestört entlang der Mur und lässt so seinen Gedanken und Ideen freien Lauf. "Am Schreibtisch kann ich nicht denken, denn ich denke auch mit dem Körper", erzählt er, wie gut das in Graz im Gegensatz zu Sarajevo, wo er auch die zweite Hälfte des Jahres lebt, funktioniert. "Wenn ich in Sarajevo außer Haus gehe, treffe ich schon nach zehn Schritten einen Bekannten, der mit mir sprechen möchte – aber nicht über mein Buch", sagt Karahasan, der sehr gerne unter Menschen ist. "Ich bin Autor und daher ein Lebewesen der Sprache und die Sprache kennt keine Monologe, sie sucht nach Offenheit gegenüber einer anderen Person", meint Karahasan. Den Austausch mit seinen Mitmenschen schätzt er sehr und auch aufgrund dessen liegt ihm Graz besonders am Herzen. Sein aktueller Roman "Der Trost des Nachthimmels" thematisiert die Blüte und den Zerfall des islamischen Reichs im 11. Jahrhundert. Neben Ereignissen, von denen er erfährt und die er erzählen möchte, spielen auch Menschen für seine Bücher eine große Rolle. "Im Scherz sage ich, dass ich ein Dieb der Menschen bin. Ich stehle ihre Gesten, Gesichtszüge und Charakteristika und schnitze daraus meine Romanhelden", sagt Karahasan und erklärt, dass er ein "pathologisch aufmerksamer Zuhörer" ist.

Sarajevo als Schicksalsort

"Ich kann aus Sarajevo hinausgehen, aber Sarajevo nicht aus mir", scherzt Karahasan und erklärt, dass Sarajevo der Ort seines Schicksals ist. "Keiner wundert sich in Sarajevo über interreligiöse Freundschaften", erklärt Karahasan und meint, dass sich in Sarajevo vieles, auch zum Schlechteren, geändert hat. "Was mir aber Hoffnung gibt, ist, dass die Seele der Stadt noch immer die gleiche ist", sagt Karahasan und erklärt, dass sich neben der Zusammensetzung der Menschen auch die Atmosphäre geändert hat. "Die Gelassenheit, für die Sarajevo charakteristisch war, ist verloren gegangen", meint er weiters und sagt, was ihm aber – in Sarajevo und in Graz – Hoffnung gibt: "Viele junge Menschen sind sich ihrer Chancen und Möglichkeiten bewusst und wollen etwas in dieser Welt zum Positiven hin bewegen."

WOCHE-WORDRAP
Graz ist für mich ... eine Stadt der guten Gespräche.
Mein Vorbild ... da gibt es viele. Tschechow, Platon, Arthur Schopenhauer, Goethe, Ivo Andrić oder Robert Musil.
Luxus ist für mich ... Zeit.

STECKBRIEF
Geboren 1953 in Tomislavgrad, Bosnien und Herzegowina
Studium der Literatur- und Theaterwissenschaft in Sarajevo
War von 1996 bis 2003 Stadtschreiber von Graz
Viele Preise und Auszeichnungen
Werke (Auszug): "Tagebuch der Aussiedlung" (1993), "Sara und Serafina" (2000), "Das Buch der Gärten" (2004)

Push-Nachrichten auf dein Handy
MeinBezirk auf Facebook verfolgen
MeinBezirk als ePaper durchblättern
Newsletter deines Bezirks abonnieren

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Anzeige
Von Freiflächen-Photovoltaik profitieren Unternehmen und Grundbesitzer in ökonomischer und ökologischer Hinsicht.  | Foto: Enery
1

Energiewende
Chance für Grundbesitzer

Experten sind sich einig: Österreich schafft die Energiewende nur durch die Errichtung von Freiflächen-PV. Hubert Fechner, Obmann der Technologieplattform Photovoltaik, kommt in einer aktuellen Studie zu einem klaren Ergebnis. Da es laut heimischen Klimazielen bis 2030 einen Zuwachs an Photovoltaik-Energie von bis zu 21 Terawattstunden geben muss, wird das Potenzial auf Gebäuden und anderen Infrastrukturen "keinesfalls ausreichen, um diese Ziele zu erreichen", so der Experte. Potenzial nutzen...

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.