In Handschellen der Haftrichterin vorgeführt
Furchtbarer Verdacht: Beauftragte Bürgermeister Mafia-Terror?
In der Slowakei war am 29. Oktober Wahlsonntag, es fanden gleichzeitig die Kommunal- und die Regionalwahlen statt. Die Bürger von Záhorská ves, der Nachbargemeinde von Angern, haben einen Bürgermeister wiedergewählt, gegen den die slowakische Justiz wegen des Verdachts eines schweren Verbrechens ermittelt.
ANGERN/ZÁHORSKÁ VES. Vor wenigen Tagen wurde Bürgermeister Boris Šimkovič von der slowakischen Polizei verhaftet. Der Verdacht: Er soll Terrorüberfälle in einer Roma-Siedlung, bei denen sogar ein Kind schwer verletzt worden war, in Auftrag gegeben haben. Der Beschuldigte selbst streitet die Vorwürfe ab und gibt sich in einem Telefonat abwechselnd geknickt und kämpferisch. „Für mich und vor allem für meine Familie sind diese Anschuldigungen eine ungeheure Belastung“ klagt er im Telefonat. Wir Österreicher seien immerhin die ersten Journalisten, die nicht nur über ihn schrieben, sondern auch mit ihm redeten.
Zweijähriger Bub erlitt schwere Verbrennungen
Es ist 25. Dezember, Christtag. Drei Romafamilien sind gerade im gemeinsamen Innenhof am Feiern. Plötzlich dringen mit Kapuzenpullis bekleidete, maskierte Männer ein, prügeln mit Baseballschlägern und Schlagstücken wahllos und brutal auf die Anwesenden ein, verwüsten ihre Häuser, zerstören ihr gesamtes Hab und Gut. Dann legen sie Feuer. Ein zweijähriger Romabub versucht zu fliehen, gerät in die Flammen. Das geht einem der Angreifer offenbar doch zu weit, er löscht selber das brennende Kind, dann rennt er mit den anderen zum Fluchtauto, ein Schuss fällt, dann verschwindet die Bande. Ein Viertel der Hautfläche des kleinen Roman sind verbrannt, im Gesicht, an beiden Armen und Beinen. Seine Atemwege sind geschädigt, das Kind hat einen massiven Brandschock erlitten.
Horrorszenen aus einem schlechten Thriller oder von einem anderen Erdteil? Mitnichten. Der Schauplatz befindet sich anderthalb Kilometer vom Angerner Gemeindeamt entfernt, in der Poľná (Feldstraße) im Angerner Zwillingsdörfchen Záhorská ves am anderen Marchufer, im Jahr 2003.
Die slowakische Gemeinde verhielt sich nach dem Verbrechen auffallend unkooperativ, den drei obdachlosen Familien wurde lediglich ein Wohncontainer mit einem einzigen Raum als Bleibe angeboten, Jahre später organisierte man für zwei der Familien Häuser im Süden der Slowakei. Bürgerrechtsaktivisten erreichten, dass sie in ihr Heimatdorf zurückkehren durften, dort waren sie aber alles andere als willkommen: 2007 wurden sie in einer ähnlichen Aktion neuerlich von Kriminellen krankenhausreif geprügelt, daraufhin zogen sie endgültig weg.
Jahre passierte fast nichts, ein Verdächtiger aus Záhorská ves wurde zwar angeklagt, aber mangels Beweisen freigesprochen. Jetzt, fast zwei Jahrzehnte später, gerät aber plötzlich Bewegung in die Sache. In einem Verfahren gegen den „Takáčov“-Mafiaclan beginnen einige der Angeklagten zu „singen“, mit der slowakischen Ermittlungsbehörde zu kooperieren.
Und mit einem Mal steht ein furchtbarer Verdacht im Raum: Auftraggeber beider Terrorüberfälle sei nach übereinstimmenden Aussagen mehrerer Mafiamitglieder niemand Geringerer als Boris Šimkovič, der Bürgermeister von Záhorská ves, gewesen. Dem habe man "bei seinem Romaproblem einen Gefallen getan". Gegenleistung sollte eine Grundstückswidmung sein, zu der es aus anderen Gründen aber später nicht gekommen sein soll.
Der langjährige Bürgermeister von Záhorská ves wird in einer spektakulären Aktion von der NAKA, einer auf besonders schwere Fälle von organisierter Kriminalität und Korruption spezialisierten Ermittlungsbehörde, verhaftet und in Handschellen einer Haftrichterin in Pezinok vorgeführt. Diese lehnte den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verhängung der Untersuchungshaft zwar ab, Šimkovič bleibt in dem Verfahren aber Beschuldigter, er wird wegen Gründung und Unterstützung einer kriminellen Organisation, Gemeingefährdung, Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und schwerer Nötigung angeklagt.
Boris Šimkovič ist in der Nachbargemeinde Angern kein Unbekannter, zwei Jahre war er sogar Trainer des FC Angern. In seiner Jugend war der promovierte Jurist Fußballer des slowakischen Spitzenclubs Slovan Bratislava, als 17jähriger schaffte er es sogar in die damalige tschechoslowakische U17-Nationalmannschaft.
"Ein laufendes Gerichtsverfahren kann und will ich nicht kommentieren" erklärt Robert Meißl, der Angerner Bürgermeister. Die Berichte verfolge er natürlich aufmerksam. „Als Bürgermeister habe ich jedenfalls positive Erfahrungen mit Boris Šimkovič“. In Schul- und Kindergartenfragen habe es etwa Zusammenarbeit zwischen den beiden Kommunen gegeben, Boris Šimkovič sei dabei immer sehr kooperativ gewesen. An romafeindliche Bemerkungen könne er sich nicht erinnern, Šimkovič habe ihm lediglich erzählt, dass er öfter Roma beaufsichtige, die gemeinnützige Arbeiten in der Gemeinde verrichten müssen, um ihre Sozialhilfe zu bekommen. "Und ja, mit 600 mittellosen Roma in der Gemeinde hat Šimkovič natürlich ein Roma-Problem."
Der Beschuldigte selbst verspricht: "Zeugenaussagen der Mafiosi werde ich widerlegen." Bei den slowakischen Kommunalwahlen am 29. Oktober trat er trotz der schwerwiegenden Vorwürfe und der laufenden Ermittlungen wieder an, als gemeinsamer Kandidat zweier sozialdemokratischer und einer rechtsnationalistischen Partei erreichte er mit 51.8% der Stimmen zwar deutlich weniger als 2018 (damals als unabhängiger Kandidat 63.5%), nichtsdestoweniger noch immer eine klare absolute Mehrheit.
Ob die Einwohner von Záhorská ves einen zu Unrecht Beschuldigten oder einen Verbrecher wiedergewählt haben, das werden die weiteren Ermittlungen der slowakischen Justiz zeigen.
Links
Artikel (mit Video) im Wochenmagazin PLUS 7 dni (slowakisch)
Ergebnisse der slowakischen Kommunalwahlen (Tageszeitung SME, slowakisch)
FC Angern
Gemeinde Angern
Gemeinde Záhorská ves: Wikipedia (deutsch), Website (slowakisch/englisch)
Liga za ľudské prava (slowakische Organisation der Human Rights League, slowakisch)
Infoartikel über die Servika (slowakische Roma) in der RomBase-Datenbank der Universität Graz
NAKA, Nationale Kriminalbehörde der Slowakei (slowakisch)
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