Corona-Krise
Psychotherapie: Bei Kindern steigt Bedarf

- Tanja Grömmer ist Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision.
- Foto: Tanja Grömmer
- hochgeladen von David Ebner
Tanja Grömmer ist Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision. Wegen Corona hat sie viel zu tun.
ST. ROMAN. Im Interview spricht Grömmer über verzweifelte Eltern und Kinder, Krankheitsbilder und darüber, was gegen den Corona-Blues hilft.
Frau Grömmer, Sie sagen, dass die Menschen die Corona-Krise immer mehr belastet. Heißt das also, dass sich viele bei Ihnen melden und Rat suchen?
Grömmer: Es zeigt sich, dass besonders Eltern anrufen, die sich um ihre Kinder sorgen. Der Bedarf an Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen steigt meiner Einschätzung nach deutlich. Aber nicht nur junge Menschen haben es in dieser Zeit besonders schwer, sondern auch ältere. Durch die doch schon sehr langanhaltenden Maßnahmen unserer Regierung besteht große Gefahr der Vereinsamung – besonders in Pflege-und Behinderteneinrichtungen. Auch die Veränderungen rundum das Thema Arbeit bringt viel Verunsicherung und Angst mit sich. Viele Menschen befinden sich in Kurzarbeit und fürchten, ihren Job ganz zu verlieren.
"Deutlich zeigt sich, dass besonders jetzt Eltern anrufen, die sich um ihre Kinder sorgen. Der Bedarf an Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen steigt daher deutlich meiner Einschätzung nach."
Über welche Ängste berichten die Betroffenen?
Häufig geht es um Zukunftsängste. Kann ich die Matura schaffen, werde ich den Beruf erlernen können, den ich mir Wünsche? Finde ich überhaupt eine Lehrstelle in meinem Traumberuf? Finde ich wieder Anschluss, wenn die Schule normal weiter geht? Die Sorgen der Kinder sind in dieser Zeit nicht zu unterschätzen. Oftmals werden ihre Ängste und Sorgen nicht auf Anhieb wahrgenommen, was weiterhin zur Verunsicherung führt. Natürlich wenden sich auch Erwachsene an mich. Menschen, die ihren Job verloren haben. Mütter, die überfordert sind, weil sie ihre Kinder zuhause unterrichten müssen. Aber genauso auch Männer, denen es schwer fällt, zu Hause ihren Platz im Alltag zu finden.
Wie wirken sich solche Ängste auf die Menschen aus?
Klienten klagen häufig über Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten, über das Gefühl der Ohnmacht und Antriebslosigkeit. Dies sind natürlich nicht die einzigen Symptome, mit denen die Menschen einen Psychotherapeuten aufsuchen. Häufig kommt es auch wegen Homeschooling und Co. zu Spannungen im Familiensystem. Diese Situation ist für die meisten neu und ungewohnt. Dazu kommen Platzmangel und Unstimmigkeiten in der Kindererziehung, was zu Streit führen kann.
Seit wann nehmen die Anfragen eigentlich zu?
Prinzipiell konnte ich beobachten, dass die Anfragen, die mit der Pandemie im Zusammenhang stehen, im zweiten Lockdown zugenommen haben. Meist nehmen die Betroffenen zuerst eine abwartende Haltung ein. Mit dem Satz 'wenn Corona vorbei ist, geht’s mir auch wieder besser', trösten sich viele. Erst wenn es wirklich nicht mehr geht, wird nach professioneller Hilfe gesucht. Bei Kindern und Jugendliche dauert das oftmals noch länger als bei uns Erwachsene. Vor allem Kinder im Volksschulalter können oft nicht einschätzen, was gerade mit ihnen los ist. Außerdem braucht es teilweise längere Zeit, bis sich Kinder mit ihren Ängsten an ihre Eltern wenden. Der Weg, bis man tatsächlich das Erstgespräch bei einem Therapeuten wahrnimmt. dauert oft mehrere Wochen bis hin zu Monaten. Eingestehen, dass man Hilfe braucht, ist dabei der Schritt, der die meiste Zeit kostet.
Stimmt es, dass Psychotherpaie auch in der Pandemie stattfinden darf?
Ja, natürlich werden die Maßnahmen streng eingehalten und zusätzlich dürfen wir Therapie auch telefonisch und per Videotelefonie anbieten. Corona darf kein Grund sein, eine Psychotherapie nicht zu beginnen oder gar zu pausieren. Gerade jetzt ist es wichtig, sich Hilfe zu holen. Niemand soll das Gefühl haben, alleine zu sein.
Was hilft gegen den Corona-Blues?
Tatsächlich gibt es kein Geheimrezept. So gut es geht, sollte eine Tagesstruktur beibehalten werden. Gefühle und Stimmung sollten ernst genommen werden. Aktivitäten setzen, die einem Freude bereiten. Bewegung an der frischen Luft und in Verbindung mit dem sozialen Umfeld (E-Mail, Briefe, Telefon, Videochat) bleiben. Wichtig ist, in Krisensituationen die Hilfsangebote anzunehmen.
Wie geht es eigentlich Ihnen persönlich in dieser Zeit?
Indem ich neben meiner Tätigkeit als Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision noch Mutter eines 14 Monate alten Kindes bin, habe ich eine hervorragende Tagesstruktur. Ich achte sehr darauf, die „kleinen“ Dinge des Lebens zu schätzen. Ich freue mich, alte Kontakte mit Freunden wieder aufleben zu lassen und genieße die Zeit im Schnee. Langeweile ist bisher bei mir kein Thema. Es gibt viele Themen, die mich interessieren und für die ich mir jetzt Zeit nehmen kann.
Wie schaut es eigentlich mit Langzeitfolgen für Kinder und Schüler aus?
Über Langzeitschäden habe ich mich ehrlich gesagt noch nicht auseinander gesetzt. Diese Energie investiere ich lieber in meine KlientInnen. Wichtig ist zu sagen, dass Sorgen und Ängsten von Kindern nicht übersehen werden dürfen und ernst genommen werden müssen. Da sehe ich jeden Erwachsenen des Kindes egal ob Eltern, Großeltern, Lehrer, Nachbarn, Tanten, Onkeln, gute Bekannte in der Pflicht, das Kind ernst zu nehmen, wenn es traurig ist. Einfühlungsvermögen und Zeit sind „Erste Hilfe Maßnahmen“ die jeder von uns leisten kann.
Zur Sache
Hilfe gibt's neben Psychotherapeuten bei der Ö3-Kummernummer 116 123 von 16 bis 24 Uhr, Telefonseelsorge 142 oder Kindernotruf 0800/567 567.



Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.