"Judenretter"
Franz Güttler, der "Schindler" Melks
MELK/ST. PÖLTEN. Jeder kennt die Geschichte von Oskar Schindler, der rund 1.200 Juden vor dem sicheren Tod bewahrt hat. Doch nicht nur in Polen gab es einen solchen "Judenretter", sondern auch in Melk. Buchautor Manfred Wieninger berichtet in seinem Buch "223 oder Das Faustpfand" über die Heldentat und hat noch weiter in der Geschichte gegraben.
Überlebende aus Hofamt Priel
"Der ehemalige, langjährige Verwaltungsdirektor des Krankenhauses Melk, Franz Güttler, hat Anfang Mai 1945 in einer dramatischen Rettungsaktion sechs ungarisch-jüdische Überlebende des Massakers von Hofamt Priel im Krankenhaus Melk aufgenommen", berichtet Wieninger.
In seinem Buch wusste er schon viel über Güttlers Aktion zu berichten. "Nun konnte ich durch Güttlers Urenkelin, Nikola Gauß, die erst kürzlich auf mein Buch aufmerksam geworden ist, mehr über ihn, seine Lebensumstände und seine Persönlichkeit erfahren", erklärt der Buchautor.
Der 1892 in Prag geborene Güttler stammte mütterlicherseits aus böhmischem Adel, väterlicherseits aus einer Weinviertler Winzerfamilie. Nach der Matura schlug er die Militärlaufbahn ein und trat in die k. u. k. Pionierkadettenschule in Hainburg an der Donau ein. "Danach war Melk der erste Garnisonsort des jungen Pioniers", so Wieninger.
Nach Krieg in die Verwaltung
Den Ersten Weltkrieg erlebte er als Frontoffizier, zuletzt am Isonzo. Der Zusammenbruch Österreich-Ungarns traf ihn schwer. Zeit seines Lebens ist er wohl in gewisser Weise Monarchist geblieben. Nach dem Ende des Krieges wurde ihm die Verwaltung des Krankenhauses Melk übertragen.
Seine Frau Maria war eine ausgebildete Opernsängerin und Sopranistin, die nach der Eheschließung ihre Gesangskunst dem damaligen Zeitgeist entsprechend nie als Beruf ausüben durfte, worunter sie später wohl gelitten hat. Die Ehe, aus der eine Tochter namens Ingeborg (Inge) hervorgegangen ist, wurde nach Jahren geschieden.
Franz Güttler war kulturell breit interessiert und führte in Melk ab den Zwanzigerjahren gemeinsam mit seiner Frau einen (Kultur-)Salon, in dem praktisch alle Künstler, vor allem Maler, Literaten und Schauspieler der Region verkehrten.
"Vorreiter" der Sommerspiele
Auch der politische Überlebenskünstler Oberregierungsrat Leopold Convall, in der Dollfuß-Ära ab Anfang 1938 und nach 1945, in der 2. Republik jeweils Bezirkshauptmann von Melk sowie in der NS-Zeit dazwischen Landrat des Landkreises Melk, der bei Güttlers Rettungsaktion für die Überlebenden von Hofamt Priel eine gewisse Rolle gespielt hat, dürfte diesem Kreis, zumindest lose angehört haben. In diesem illustren Milieu lebte Franz Güttler auch seinen als geradezu anarchistisch geschilderten Humor aus. Er war selbst als Laien-Theaterregisseur engagiert und ist als Begründer beziehungsweise Vorreiter der heutigen Sommerspiele Melk anzusehen.
Tochter wurde Dolmetscherin
Franz Güttlers Tochter Ingeborg, verehelichte Gauß (beziehungsweise in zweiter Ehe Kanizsai-Nagy), studierte Journalistik in Wien, schloss ihr Studium aber nicht ab. Zum Zeitpunkt der Rettungstaten ihres Vaters, an denen sie selbst großen Anteil hatte, lebte sie wieder in Melk, gemeinsam mit ihrem damals vierjährigen Sohn Peter.
Nach Kriegsende fungierte sie in Melk als Übersetzerin für die US-Army. Die Amerikaner hatten im Hinterland der Stadt auf einem Hügel Richtung Mank einen Radiosender installiert. Danach legte sie eine Dolmetsch-Prüfung ab und trat in den Dienst der Amerikanischen Botschaft in Wien, wo sie zunächst an der Umsetzung des Marshall-Planes mitwirkte und es später bis zur stellvertretenden Leiterin der Abteilung American Fund for Cechoslovakian Refugees (AFCR) brachte. Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges fand ihre lebenserfüllende Tätigkeit ein natürliches Ende.
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