Queer in Kärnten
"Unsere Gesellschaft bräuchte mehr Selbstreflexion"

Ulli Dobernig ist bei EqualiZ für den gesamten Bereich Beratung und Psychotherapie und die Anlaufstelle "Ally" verantwortlich, die sich an LGBTQ+ Personen richtet. | Foto: MeinBezirk
  • Ulli Dobernig ist bei EqualiZ für den gesamten Bereich Beratung und Psychotherapie und die Anlaufstelle "Ally" verantwortlich, die sich an LGBTQ+ Personen richtet.
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Diskriminierungen sind in Kärnten für viele queere Personen immer noch ein Teil der Lebensrealität. Im Gespräch mit MeinBezirk.at erklärt Expertin Ulli Dobernig von der Beratungsstelle "Ally", womit betroffene Menschen zu kämpfen haben und wo es bereits Lichtblicke gibt.

KÄRNTEN. Bunte Flaggen und zahlreiche Marketingaktionen richten jährlich im Juni die mediale Aufmerksamkeit kurzzeitig auf die LGBTQ+ Community. Abseits der Werbungen großer Konzerne haben viele queere Menschen im Alltag jedoch oft mit Diskriminierung zu kämpfen. Wie viele Menschen in Kärnten Teil der LGBTQ+ Community sind, ist nicht bekannt. Eine internationale Online-Umfrage eines deutschen Marktforschungsinstituts kam 2016 in Österreich auf einen Wert von rund sechs Prozent. Die jüngste Ö3-Jugendstudie ergab, dass sogar 20 Prozent der unter 25-Jährigen in Österreich mit einer queeren Geschlechteridentität oder sexuellen Orientierung leben. In Klagenfurt hat das ehemalige Mädchenzentrum EqualiZ seit einigen Jahren ein Beratungsangebot für queere Tennager und junge Erwachsene eingerichtet. 

Aktuelle Problemfelder

Ulli Dobernig ist bei EqualiZ für den gesamten Bereich Beratung und Psychotherapie und die Anlaufstelle "Ally" verantwortlich, die sich an LGBTQ+ Personen richtet. Im Gespräch mit MeinBezirk.at berichtet sie davon, dass queere Personen laut Statistiken tendenziell mehr psychische Probleme, eine geringere Lebenszufriedenheit und öfter gesundheitliche Probleme haben. "Viele dieser Probleme entstehen durch ihr anders sein. Durch das nicht akzeptiert werden. Oft auch durch die Diskriminierung, die sie erfahren", erklärt Dobernig. Was für viele zuerst überraschend klingen mag, ist, dass auch die medizinische Versorgung für queere Personen ein Problem sein kann.

"Viele haben beim Gang zum Arzt keine guten Erlebnisse, werden abgewertet oder haben Diskriminierungserlebnisse", führt Dobernig aus. Das könne beim Besuch des Hausarztes, besonders aber bei sensiblen Themen wie Gynäkologie passieren. Gefährlich kann das werden, wenn trotz dringender Notwendigkeit aus diesen Gründen auf einen Arztbesuch verzichtet wird. Diese Schilderungen spiegeln sich auch im LGBTIQ+ Gesundheitsbericht aus dem Jahr 2022 wider, der auswies, dass 29 Prozent der Befragten von medizinischem Personal bereits Erniedrigung, Demütigung oder Beleidigungen erfahren haben. 

Weitere Themen, mit denen sich queere Jugendliche an die Beratungsstelle wenden, drehen sich um Themen wie das Outing daheim und in der Schule oder Unterstützung im Transitionsprozess von Transpersonen. Aber auch bei alltäglichen Problemen junger Menschen wie der Jobsuche oder bei psychischen Problemen, wird "Ally" oft um Hilfe gebeten.

Hass und Vorurteile

Dass nach wie vor Teile der Bevölkerung feindselig oder abweisend gegenüber der LGBTQ+ community eingestellt sind, beschäftigt das feministische Kompetenzzentrum immer wieder. Während manche dem Thema sehr unaufgeregt gegenüberstünden, würden andere sauer und wütend reagieren. "Es ist halt etwas Fremdes und alles, was einem fremd ist und wo man keinen Kontakt hat, macht Menschen eben oft Angst. Es war immer schon so, dass Randgruppen gut geeignet sind, dass sich Wut an ihnen entlädt", erläutert die Equaliz-Mitarbeiterin.

Gründe dafür können nicht zuletzt auch in der Selbstwahrnehmung liegen: "Weil Leute enttäuscht sind von ihrem Leben oder sich ungerecht behandelt fühlen, das Gefühl haben, immer zu wenig zu bekommen, während die anderen immer mehr bekommen. Diese Gruppe bekommt so viel Aufmerksamkeit und ich eigentlich keine." Dass queere Personen sowieso bereits so sichtbar seien und ohnehin von allen akzeptiert würden, hält Dobernig allerdings für einen Fehlschluss: "Das ist aber überhaupt nicht der Fall, weil diese Menschen trotzdem auf der Straße angepöbelt werden, Gewalterfahrungen machen."

Als Beispiel nennt sie die enorme Anzahl an Übergriffen, die vor drei Jahren bei der Pride in Klagenfurt verzeichnet wurden. Teilnehmende wurden beschimpft, verfolgt, bespuckt, körperlich attackiert, über soziale Medien bedroht, es kam zu Sachbeschädigungen. Im vergangenen Jahr ermittelte der Verfassungsschutz, nachdem während der Parade eine rechtsextreme Störaktion stattgefunden hatte. Im Juni wurde zudem der Zebrastreifen in Regenbogenfarben am Heuplatz von Randalierern mit Kärnten-Fahnen verdeckt. Dobernig glaubt, dass viele Menschen die Wirkung aggressiven Verhaltens auf die betroffenen Personen unterschätzen: "Das is ja das große Übel unserer Gesellschaft und so unmenschlich, dass Menschen sich so wenig selbst reflektieren können und alles, was bei ihnen schiefläuft, anderen 'drüberkübeln'."

Queer in Kärnten

Ulli Dobernig sieht allerdings auch durchaus positive Entwicklungen in der Akzeptanz queerer Personen in Kärnten: "Ich glaube schon, dass es in Kärnten viele Leute gibt, die sehr bemüht sind, auch von politischer Seite her". Neben EqualiZ gibt es in Klagenfurt auch andere queere Beratungsmöglichkeiten, queere Vereine und die Gleichbehandlungsanwaltschaft. Auch in der katholischen und evangelischen Kirche sind Anlaufstellen für LGBTQ+ Personen vorhanden. Was in Klagenfurt und Kärnten dennoch für ein Wegziehen vieler queerer Menschen in Städte wie Wien und Graz sorgt, ist das Fehlen einer richtigen Gemeinschaft: "Es gibt kaum Möglichkeiten feiern zu gehen, andere Leute zu treffen, die auch queer sind und sich ein Leben aufzubauen." Während es diesbezüglich in Klagenfurt noch einfacher sei, würde es umso schwieriger, desto ländlicher der Wohnort liegt, auch was die Versorgung durch Beratungen betrifft. 

Die neue Offenheit der katholischen Kirche

Großartige Ansprüche seien es jedenfalls nicht, die queere Menschen stellen: "Jeder von uns, wir sind alle auf unsere Art eigene Personen und wollen so akzeptiert und angenommen werden, wie wir sind. Das ist ja das Bedürfnis, das wir alle haben, irgedwo zugehörig zu sein. Und ich denke, das ist auch das, was queere Menschen sich wünschen.“

Schmerzhafte Minimalverletzungen

Ständige Kommentare, die gar nicht immer in böser Absicht fallen, können auf Dauer für Betroffene "wahnsinnig verletzend" sein. Dazu gehört auch die Frage nach dem Partner, da viele Personen automatisch von einer heterosexuellen Orientierung ausgehen. Unter diese Kategorie von Kommentaren fällt auch die Verwendung queerer Bezeichnungen als abfällige Schimpfworte. "Das sind Minimalverletzungen, an die heteronormative Menschen oft gar nicht denken", erklärt Dobernig. 

Die Expertin erzählt weiters von einer Bekannten, die sich in einer lesbischen Beziehung befindet: "Sie kann gar nicht mit ihrer Frau normal am Abend weggehen, weil gerade wenn es später wird, sie immer blöd angemacht wird von irgendwelchen Leuten. In dem Fall halt eher Männer, die sagen: 'Kann ich nicht mal mitkommen und zuschauen?'". Sie ist sich sicher, dass bereits ein kurzes Innehalten und Nachdenken über das eigene Verhalten helfen könnte: "Selbstreflexion ist das, was unsere Gesellschaft am dringendsten bräuchte, damit wir alle gemeinsam irgendwie menschlicher werden".

Zur Sache: Was ist was?

Queer: Queer wird als eine Selbstbezeichnung von Personen verwendet, die ihre Identität, ihr Geschlecht und/oder ihre Sexualität außerhalb der gesellschaftlichen Normvorstellungen verorten und wird gerne als Sammelbegriff verwendet.
LGBTQ+/LGBTIQ+/LGBTQIA+: Dieses Wort setzt sich aus den englischen Abkürzungen Lesbian(lesbisch), Gay (Schwul), Bi (Bisexuell), Trans (Transgender), Queer und teils weiteren Buchstaben wie Inter und Asexual (Asexuell) zusammen. Das Plus steht für alle weiteren Identitäten, die nicht zu den bereits genannten gehören.
Heteronormativ: Der Begriff Heteronormativität baut auf dem Konzept der Zweigeschlechtlichkeit (Geschlecht wird auf männlich/weiblich reduziert) und der Heterosexualität (Zwischengeschlechtlichkeit) auf. 
Cis: Beschreibt, dass die Geschlechtsidentität einer Person mit dem Geschlecht, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde, übereinstimmt.
Trans: Überbegriff für transgender/transidente Menschen und alle Menschen, die sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. 
Inter: Überbegriff für Menschen, die mit einer Variation der Geschlechtsmerkmale geboren wurden. Ihr Körper kann sich biologisch von normierten Vorstellungen von weiblich oder männlich unterscheiden. 
Nichtbinär/Nonbinary: Personen, die sich nicht ausschließlich als Mann oder Frau identifizieren oder als gar nichts von beiden.
Pansexuell: Im Vergleich zu Bisexuellen Personen, die sich sowohl zu Männern als auch Frauen hingezogen fühlen, können sich Pansexuelle Personen zu Menschen unabhängig von jeder Geschlechtskategorie hingezogen fühlen.
Pronomen: Cis-Personen verwenden üblicherweise die Pronomen sie/ihr und er/ihm, es gibt aber Personen (z.B. Nichtbinäre), für die weder die eine noch die andere Kategorie zutrifft. Daher verwenden manche Personen die englischen Pronomen they/them oder an Stelle der Pronomen einfach ihre Namen.

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