Heftige Kritik an Notarztpraxis
Werden in der Region Wienerwald unübliche Methoden bei der Rettung von Menschen in Not angewandt?
Medizinisch umstrittene Behandlungen, enorme Überstunden, nicht einsatzbereite Notärzte und Unregelmäßigkeiten im Suchtmittelbestand rufen Kritiker auf den Plan.
NEULENGBACH/ALTLENGBACH/ST. PÖLTEN/TULLN (wp). Laut den, dem Bezirksblatt zugespielten Informationen, läuft im Notarztsystem der Wienerwaldregion einiges falsch. Vor allem wird von Insidern kritisiert, dass bei Notfällen zu denen der Notarzt gerufen wird, viel zu oft eine sogenannte intraossäre Nadel gesetzt wird. Dabei wird der Knochen im Schienbeinbereich angebohrt, und danach mittels Nadel in das Knochenmark ein reanimierendes Medikament eingefügt.
„Dieser Schmerz versetzt Patienten in Stress, das ist medizinisch nicht gerechtfertigt und unethisch“, erklärt ein Experte, der namentlich nicht genannt sein will. „Diese Methode wird in NÖ ganz selten verwendet, in Neulengbach wird sie ausdrücklich empfohlen. Noch dazu ist sie um ein Vielfaches teurer als herkömmliche Methoden.“
Die intraossäre Behandlung wird auch seitens der Anästhesie-Abteilungen der Landeskliniken St. Pölten, Tulln und Lilienfeld die auch für Notarzteinsätze zuständig sind, als selten einzusetzende Methode empfohlen.
„Arbeiten nicht unethisch“
Univ. Prof. Alexander Kober aus dem AKH Wien ist Leiter des Notarztteams im Wienerwald. Er wehrt sich gegen den Vorwurf, unethisch bzw. gegen medizinische Indikationen zu arbeiten: „Bei einem Herzstillstand wird zuerst ein Venenkatheder gesetzt, wenn aber aufgrund des Zustands des Patienten keine Blutgefäße zu finden sind, dann kommt die intraossäre Behandlung zur Anwendung.“ Von den etwa 20 Wiederbelebungsversuchen im Jahr würde etwa nur bei zehn Patienten das Knochenmark angebohrt. „Das sind 50 Prozent“, meinen Kritiker, das ist so hoch wie nirgends sonst.
Notärzte am Limit? Arbeitsinspektor klopfte an
Kritik am Notfallsystem im Wienerwald richtet sich auch gegen die Anzahl der durchgehend geleisteten Arbeitsstunden: „Bei beruflichem Personal im Sanitätsbereich werden maximal 12 (!) Stunden empfohlen, diese werden nachweislich oft überschritten. Notärzte sind oft entgegen jegliche Empfehlung 36 Stunden und mehr im Einsatz.“ Auch das Arbeitsinspektorat hat sich dieses Missstandes bereits angenommen. „Wir haben diese Kritik aufgenommen. Ich kontrolliere penibel die Einhaltung der vorgeschriebenen Dienstzeiten“, kontert Kober.
Notarzt in Not?
An manchen Tagen wäre der Notarzt im Wienerwald nicht erreichbar, etwa am Heiligen Abend. „Wenn da etwas passiert, möchte ich nicht der Notfallspatient sein“, meint ein Sanitäter. „Ja, das ist einige Male passiert“, räumt Notarztchef Kober ein, „aber was soll man machen, wenn kurzfristig ein Kollege krank wird? Die Versorgung der Bevölkerung mittels Notarzt ist aber zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen, da wir von anderen Stationen ein Einsatzteam bzw. auch den Hubschrauber anfordern können. Aufgrund der geringen Einsatzdichte ist das kein Missstand.“ Weiters kooperiert man bei Bedarf mit dem Notarztstützpunkt Tulln.
Verschwundene Suchtmittel
Im letzten Jahr gab es eine Anzeige bei der Polizei Neulengbach über Unregelmäßigkeiten beim Suchtmittelbestand. Auch dies bestätigt Kober: „Ja, es wurden Ampullen verwechselt, obwohl wir das genau handhaben. Das wurde polizeilich angezeigt.“ Man wolle in Zukunft darauf achten, dass hier keine Unregelmäßigkeiten mehr auftreten.
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Leben und Tod
(Kommentar)
Universtätsprofessor Alexander Kober wirkt gelassen, als er mit zum Teil schwer wiegenden Vorwürfen, die seine Tätigkeit als leitender Notarzt in der Region Wienerwald betreffen, konfrontiert wird. Er fühlt sich im Recht. Im Gespräch gesteht er zwar den einen oder anderen Fehler ein, sieht sich aber sonst als leitender Notarzt auf dem richtigen Weg. Dem Bezirksblatt liegen auf der anderen Seite jedoch Schriftwechsel aus Ärzteforen in NÖ vor, die jene in Neulengbach eingesetzte Behandlungspraktiken im Notfalleinsatz als überschießend bezeichnen. Von „Kampfnotärzten“ und „Kampfsanitätern“ aus dem Wienerwald ist dort die Rede. Von Ärzten und Sanitätern, die enorme Überstunden leisten, hört man allerdings nicht nur aus Neulengbach. Das dürfte ein Spezifikum der Medizin-Branche sein, das es allerdings langfristig gilt abzustellen.
Wichtig ist, den sensiblen Bereich der Menschenrettung
in jeder Hinsicht zu optimieren und keinesfalls den Verdacht aufkeimen zu lassen, dass irgendetwas nicht den Standards entspricht. Denn ein falscher Handgriff oder ein spätes Eintreffen des, unter Umständen sogar übermüdeten Notarztes kann über Leben und Tod entscheiden.
Werner Pelz
Kontakt: wpelz@bezirksblaetter.com // Tel.: 0676 7001175
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