"Schwere Sünde“ mit Kieferbruch geahndet
Text & Foto: Ilse Probst
Schwere Sünde mit Kieferbruch geahndet
Weil er seine Eltern beschimpft und beleidigt habe, schlug der Bruder, ein 35-jähriger Kraftfahrer aus St. Pölten ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Fazit: ein schwerer Kieferbruch und ein gemeinsamer Auftritt im Landesgericht St. Pölten.
Staatsanwalt Karl Wurzer erhob aufgrund der Aussagen des 35-Jährigen und den Eltern vor der Polizei eine Anklage gegen den Kraftfahrer. Für das „Opfer“, den 29-jährigen Bruder, beantragte er die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, nachdem der Frühpensionist aufgrund einer schizophrenen Psychose sowohl seine Eltern, als auch den Bruder mit dem Umbringen bedroht und dabei ein 30 Zentimeter langes Messer aus der Küche geholt habe. Übereinstimmend erklärten die Familienmitglieder, dass der 29-Jährige seine Medikamente wegen mangelnder Krankheitseinsicht nicht genommen habe und deshalb ausgerastet sei.
Die Eltern der Brüder leben nun wieder in der Türkei und erschienen daher nicht vor Gericht. Die Aussagen der Beschuldigten unterschieden sich stark von den früheren Protokollen. „Ich habe niemanden bedroht“, erklärte der Jüngere, während der Ältere vor Richter Helmut Weichhart eine völlig neue Version des Herganges auftischte. „Es gilt in unserem Kulturkreis als schwere Sünde, wenn man die Eltern beschimpft und beleidigt“, begründete er seinen Schlag in das Gesicht des Bruders. Dieser habe dann aus Respekt vor ihm seine Wut an der Türe ausgelassen und diese eingeschlagen. Vor der Polizei habe man übertrieben, damit der kranke Bruder nach Mauer zu einer besseren Behandlung käme. Von Drohungen und einem Messer wisse er nichts mehr.
Unglaubwürdig, entschied der Schöffensenat, für den das Gutachten des Sachverständigen Dietmar Jünger maßgebend war. Demnach bestehe bei dem Frühpensionisten ein enges Wahnsystem, das sich auf die Familie konzentriert. Er fühle sich nicht als Kind seiner Eltern, werde benachteiligt und behaupte, nachts vergewaltigt zu werden. Bei entsprechender Behandlung beziehungsweise der regelmäßigen Einnahme seiner Medikamente, sowie einer räumlichen Trennung von der Familie bestünden jedoch durchaus positive Aussichten ohne erhöhtes Gefahrenpotential.
Dementsprechend sprach Weichhart eine bedingte Einweisung mit einer fünfjährigen Probezeit aus, aber nur, wenn sich der Patient freiwillig in eine stationäre Behandlung begibt. Für den Kieferbruch erhielt der 35-Jährige eine bedingte Strafe von drei Monaten. Beide Entscheidungen sind rechtskräftig.
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