Die Gemeinwohl-Ökonomie, ein Buch, das Begeisterung und Kritik auslöst
(kra) Eine demokratische Bewegung wächst: Christian Felbers alternatives Wirtschaftsmodell, die "Gemeinwohl-Ökonomie". Mehr als tausend Privatpersonen, PolitikerInnen, Initiativen und Unternehmen haben sich der Idee angeschlossen, die Gemeinwohl-Bilanz wurde mit über hundert Pionier-Unternehmen präzisiert, zahlreiche Regionalgruppen in Deutschland, Österreich und Italien sind aktiv geworden und haben eine gemeinsame Strategie für die kommenden fünf Jahre entwickelt.
2012 erschien eine aktualisierte und erweiterte Neuausgabe des Buches, die bei amazon unter den Rezensenten Begeisterung (18) und kritische Beiträge (5) auslöste - meine Rezension befindet sich unter den kritischen Beiträgen.
Viele Ansätze zum Nachdenken, noch mehr fragwürdige Bequemlichkeitstheorien
Felber ist möglicherweise ein Visionär, also eine Person, die Vorstellungen von der Zukunft entwickelt. Er könnte aber ebenso ein Phantast sein, also ein Träumer, ein Mensch mit überspannten Ideen. Auch ich stelle mir immer wieder ähnliche Fragen wie Felber: wie wird es mit der Wirtschaft, mit der Beschäftigung, mit dem Geld weitergehen, mit der Preisspirale? Die Ansätze von Felber klingen einfach und oft logisch: Banken dürfen nur mehr ihre Selbstkosten erwirtschaften und keine Gewinne erzielen; Unternehmen sollen ein Art Gemeinwohl-Ökonomie-Zertifikat erhalten: zahlen sie weiblichen Arbeitnehmern denselben Lohn, beteiligen sie Mitarbeiter an Unternehmensentscheidung, produzieren sie Umweltschonend usw; Unternehmer selbst dürfen nur ein bestimmtes Vielfaches des Mindestlohnes ihrer Mitarbeiter verdienen; Konkurrenz soll verboten werden; Besitz soll limitiert werden (besitzt jemand eine über die erlaubte Zahl an Wohnungen oder Häusern, z. B. durch Erbschaft, soll er gezwungen werden, das Zuviel zu teilen oder zu verschenken u.a.).
Beschränktes Vermögen für alle, jeder entscheidet in Unternehmen mit
Felber glaubt an eine globale, alle Menschen erfassende Gemeinwohl-Ethik. Keiner soll mehr übermäßig viel verdienen, alles soll vernünftig günstig sein, der einzige Grund noch Unternehmer zu werden, liegt darin, sich seinen Mitmenschen gegenüber ethisch anständig zu zeigen und es allen gut gehen lassen. Liest man sich tiefer ins Buch, werden zwei Dinge schwierig: das Lesen, weil oft etwas zu breitgetreten und ausufernd geschrieben wird (wohl um dem Buch eine gewisse Seitenanzahl zu garantieren). Das Verstehen: Beispiel: wenn ein Unternehmen ein nur mehr einen bestimmten Betrag verdienen darf, ab einer gewissen Unternehmensgröße alle Mitarbeiter bei Unternehmensentscheidungen mitreden müssen usw. kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand Lust hat, sein privates, beschränktes „Vermögen“ noch für andere zu investieren und dann dabei gar nicht mehr mitreden darf, was damit geschieht.
Weniger bis keine Steuern, aber mehr Allgemeinwohleinrichtungen
Es führe zu weit, hier alle sinnhaften und fragwürdigen Thesen von Felber anzuführen. Natürlich sind in vielen Theorien sinnvolle Ansätze, ja meines Erachtens auch durchaus realistische, praktikable Lösungen. Aber einerseits zieht Felber über Reglementierungen und Gesetze her, andererseits verlangt er neue. Einerseits soll der Staat neue Kontrollinstitutionen einrichten, andererseits sollen ethische und umweltschonende Unternehmen keine Steuern mehr zahlen – woher aber das Geld, um alle sonst formulierten Gemeinwohl-Einrichtungen zu erhalten? Beim Lesen beschlich mich so das Gefühl, Christian Felber würde gerne bequem leben - wer nicht - aber dafür sorgen sollten „die anderen“ und meint damit sehr oft Unternehmer.
Wie sich der Leser an der Realisierung beteiligen kann, erläutert Felber natürlich auch. Aber von den acht Vorschlägen kann man im Moment nur zwei verfolgen. Die anderen gehen erst, wenn Felber’s Ideen realisiert wurden. Wie oben erwähnt, es ist etwas schwierig, den Visionär zu verstehen. Oder ist der doch ein Phantast?
Information
Christian Felber
Die Gemeinwohl-Ökonomie
2012 aktualisierte und erweiterte Neuausgabe
erschienen im
Verlag Deuticke Wien
208 Seiten
ISBN: 978-3-552-06188-0
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