Ungefragte Ratschläge für oststeirisches Kunstpublikum

Sagen, was es ist, Denkanstöße liefern: Kunsthistoriker Günther Holler-Schuster (Mitte) bei der Vernissage mit Arbeiten von Helmut Arnez
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Eine Vernissage ist zu allererst ein gesellschaftliches Ereignis, das man besucht, um zu demonstrieren: Ich schaffe mehr als meinen Alltag...

...Ich bin gut drauf und ausreichend fit, daß ich neben den laufenden Geschäften auch Zeit und Kraft für symbolische Angelegenheiten habe.

Feiner Geschmack, Kunstsinn, Kultiviertheit, Esprit. Das sind Details, die den Unterschied zwischen Schnösel und Bürger markieren. Jeder zähe Mensch, wahlweise jede gewissenlose Kanaille, kann Geld machen. Aber Format, das gibt es nicht zu kaufen, das will erarbeitet und erlebt werden.

Dieses Verfahren, um soziale Hierarchien zu verdeutlichen, hat einst der Adel etabliert. Nachkommende Eliten konnten bei uns bis heute nicht darauf verzichten, solche Merkmale zur Standesbestimmung zu kopieren.

Dazwischen haben die Merkwürdigen ihre Plätze, Verhaltensoriginelle, Staunenswerte, oft jene, in denen man sich auf ersten Blick hin täuscht.

Das alles ist freilich nicht bloß „Gesellschafts-Maschinerie“, sondern auch ein Bezugssystem, innerhalb dessen man seine eigenen Erfahrungsgrenzen ausloten kann, um sich für Eindrücke und Impulse zu öffnen, denen man im eigenen Alltag eher nicht begegnet.

Außerdem bietet eine Vernissage immer Gelegenheiten für interessante Begegnungen und intensive Gespräche. Wer sich mit Small Talk begnügen mag, wird schnell am Buffet landen. Wer freilich das Zeug dazu hat, kann durch Geist glänzen und so auf der Bühne einer Abendgesellschaft für bleibende Eindrücke sorgen. (Die fieseste Option ist natürlich, hinterher darüber zu schreiben.)

Wer bloß sein Standing innerhalb einer überschaubaren örtlichen Gesellschaft verbessern will, übt einfach die bei Vernissagen gängigen Basis-Posen und Gesichtsausdrücke.

Nur der geistesblanke Parvenü wird so tun, als sei ihm ohnehin alles klar.

Wer sich jedoch auf die Kunstwerke einlassen möchte, um seine Horizonte zu erweitern, wird keine Scheu haben, gegebenenfalls ganz offen zu sagen: Das verstehe ich jetzt überhaupt nicht.

Fortgeschrittene unter den Wißbegierigen und Lernbereiten gehen dann vermutlich dazu über, eine der Personen anzusprechen, die rund um den Eröffnungsakt als geistreich und entspannt aufgefallen ist. Wer dann mit aufrichtigem Interesse fragt, wird in den meisten Fällen spannende Dinge erfahren und angeregter gehen als er oder sie gekommen ist.

Wer im Publikum zufällig an einer auffallend exaltierten Person entlangschrammt, die sich ein wenig schrill äußert, meist zu viel trinkt und womöglich ein komisches Hütchen trägt, um so oder so ähnlich auszuposaunen: „Ich bin AUCH ein Künstler!“, möge sich nicht für Kleingeld beeindrucken lassen.

Leute, die bei Vernissagen derart unübersehbar einen auf Künstler machen, sind in den meisten Fällen keine, sondern stümpern erfahrungsgemäß mehr in der Gegend herum als daß sie konsequent künstlerisch arbeiten.

Ähnlich ist es mit makellos gekleideten und frisierten Püppchen, die sich den erkennbaren Dorfhonoratioren gegenüber besonders dienstbeflissen geben. So fleht man um soziale Legitimation, wie einst der Untertan einen wohlwollenden Blick des Fürsten erheischte.

Wer immer besonders geziert oder inszeniert auftritt, kann in der Regel ignoriert werden. Solche Leute machen einen meist nur zur Wand gegen die sie spielen.

Selbst oder vor allem in der Provinz ist ein spezielles Spielchen sehr populär, das den Schnösel zweiten Grades aufdeckt. Wenn sich nämlich Herrschaften und Herrschaftsanwärter gegenseitig ostentativ mit akademischen Titeln anreden.

„Wir danken dem Herrn Doktor Xy!“ „Herr Magister, haben Sie schon…?“ „Nein, Herr Professor, es war noch keine Gelegenheit.“

Glauben Sie mir, ein akademischer Grad, noch dazu einer, der in Österreich erworben wurde, ist keinerlei Kategorie der Kunst und hat im Reich der Kunst absolut Null Aussagekraft. Nur ein Schnösel ersten Grades wird sich darauf etwas zugute halten und ein Schnösel zweiten Grades wird damit vor Publikum renommieren.

Selbstverständlich sind Kunstveranstaltungen mit repräsentativen Aufgaben befrachtet. Dagegen ist nichts einzuwenden. Menschliche Gemeinschaft bedarf symbolischer Akte. Ohne solche Gesten wäre ein „Wir“ kaum zu bilden, noch weniger zu halten.

Doch Kunstveranstaltungen haben auch noch andere Zwecke, nicht zuletzt jene, die der Kunst selbst gewidmet sind. Das muß man ja nicht außer Acht lassen. Kommen Sie doch zu einer der zahlreichen Gelegenheiten, um herauszufinden, was es für Sie alles sein kann!

+) Das April-Festvial 2014 [link]

Sagen, was es ist, Denkanstöße liefern: Kunsthistoriker Günther Holler-Schuster (Mitte) bei der Vernissage mit Arbeiten von Helmut Arnez
Angeregt debattieren, bis das Licht abgedreht wird (von links): Karl Bauer, Sigrid Meister, Katharina Scheidl und Friedrich Arnez
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