Industrie 4.0: Die Ehre des Handwerks
Es war der zweite Abend in der ersten Serie der Reihe „Handfertigkeit und Poesie“, auf dem Weg zum heurigen „Aprilfestival“. Da fanden Betrachtungen der Vergangenheit und der Zukunft Österreichs staunenswert schlüssig zusammen.
Nach dem Auftakt mit Comic-Zeichner Chris Scheuer brachten nun zwei Männer aus einer versunkenen Ära der Industriearbeit ihre Erfahrungen ein. Manfred Haslinger und Fredi Thaler haben ihr Erwerbsleben im Grazer Puchwerk absolviert. Davon in den Ruhestand entlassen suchen sie sich stets weiter knifflige Aufgaben an historischen Fahrzeugen.
Haben wir über Berufsethos zu reden? Wie stützt sich das allenfalls auf den Erwerb und Erhalt von Kompetenzen? Wird derlei angemessen gebraucht, also auch bezahlt? Der Abend hat mehr als klar gemacht, daß wir uns gerade auf den Klippen eines fundamentalen Umbruchs befinden, der uns in eine Vierte Industrielle Revolution führt.
Wer sich dabei allerdings in einen Kulturpessimismus zurückzieht, schafft sich selbst hinter den Ofen oder gar hinter den Mond, tut aber vor allem unseren Kindern und Enkelkindern nichts Gutes. Haslinger und Thaler lassen keinen Zweifel daran, daß jene Art der Industriearbeit, wie sie das gelebt haben, Geschichte ist.
Was sie und ihre Kollegen wissen und können, wird zukünftig nicht mehr die Basis von Massenproduktion sein. Da stehen uns radikale Automatisierungswellen bevor, wie sie die Menschheit noch nie erlebt hat. Aber es bestand weitgehend Übereinstimmung, daß die Fertigkeiten der alten Meister deshalb weder überflüssig sind, noch verschwinden werden.
Wir dürfen annehmen, daß sich solche Kompetenzen in Nischen halten, wobei diese Gesellschaft allerhand beitragen kann, solches Kulturgut zu sichern und zu pflegen, statt es zu vernachlässigen, dem Vergessen preiszugeben. Ein plakatives Beispiel. Welche Spitzengeigerin würde ein Instrument von Amati, Guarneri oder Stradivari ausschlagen? Aber niemand weiß mehr, wie diese Geigen gebaut wurden und keinerlei Nachbauten haben sich nicht bewährt.
Altes Wissen bleibt also in Dingen präsent, deren Vorzüge uns über Jahrhunderte hinweg klar sind. Klassische Geigen haben übrigens mit klassischen Automobilen etwas gemeinsam. Sie müssen stets benutzt, eingesetzt und gepflegt werden, sonst gehen sie verloren, verfallen einfach.
Wovon die zwei erfahrenen Handwerker erzählten, oder auch der einstige Puchianer Sepp Schnalzer, dessen Leidenschaft Motoren vom Beginn des 20. Jahrhunderts sind, ist eine spezielle Art der Hingabe. Dazu gehört, daß die Bearbeitung von Stahl und Holz erstens dem Körper viel abverlangt, zweitens Erfahrung fordert.
Das macht auf eine zentralen Bedingung aufmerksam. Talent nützt ja immer, aber die geistigen und leiblichen Fertigkeiten für erfolgreiche Arbeit zu erwerben, das verlangt Zeit. In dieser Frage gibt es keine Abkürzungen. Als faustregel gilt, wenn einer was zehn Jahre lang verfolgt, dann kann er es wahrscheinlich.
Dabei wird ein soziokulturelles Problem sichtbar. Wissenserwerb und Kompetenzgewinn als Qualitäten, die man nur über erheblichen Zeitaufwand erwirbt, haben derzeit kein nennenswertes Ansehen in unserer Gesellschaft. Sich zu bilden und auszubilden ist mit einem schwachen Sozialprestige versehen.
Ein Besucher des Abends, Josef Marko, in seinem Erwerbsleben zuletzt Leiter der Kulturabteilung des Landes Steiermark, brachte es pointiert auf den Punkt: „Der arbeitslose Maturant zählt heute mehr als der Hauptschüler, der ein guter Handwerker wurde.“
Dazu fiel in der Runde das Zitat „Unsere Kinder sollen es einmal besser haben“. Wirklich? Oder sollen sie oftmals bloß die Bildungsdünklel ihrer Eltern abarbeiten?
Das ergänzte Unternehmer Ewald Ulrich um einen bemerkenswerten ökonomischen Aspekt, den man für die Mehrzahl der Fälle beachten sollte: „Auf eine gesamte Lebenszeit gerechnet verdient doch der gute Handwerker mehr als jeder Akademiker. Wenn du zuerst als Student nur Kosten hast und gegen 30 endlich zu verdienen beginnst, kannst du einen vorzüglichen Handwerker finanziell nicht mehr einholen.“
Thaler stellte überdies die Sinnfrage, die allgemein gerne unterschätzt wird: „Was willst du haben? Einen Gewinn oder eine Liebe?“ Wer das belächelte, sollte etwa beim Anthropologen David Graeber nachlesen: „Nach einer umfassenden Untersuchung hält heute in Grossbritannien jeder Dritte seinen Job für sinnlos, weitere 19 Prozent sind sich nicht sicher, ob er für etwas nützlich ist.“
Was würde so eine Umfrage in Österreich ergeben? Die Gäste des Abends brachten einige Beispiele, wie Menschen über Radio und Facebook laufend mitteilen, daß der Montag eine Bürde sei und sie den nächsten Freitag kaum erwarten könnten, um wieder frei zu haben. Klingt das nach sinnerfüllten Jobs?
Herbert Walser, bei Magna Steyr für die Lehrwerkstätten verantwortlich, sagte unmißverständlich, es würden auch weiterhin erstklassig ausgebildete Fachkräfte gebraucht. Daran ändern die kommenden Automatisierungswellen gar nichts.
Ulrich erzählte, daß etwa in Japan pensionierte Fachkräfte hohes Ansehen genießen, wenn sie im Ruhestand Volksschulen besuchen, um den Kindern etwas von ihrem Wissen anzubieten. Die Bedeutung der Weitergabe von Kompetenzen betonten auch Haslinger und Thaler.
Das betrifft keineswegs bloß Kinder. Ein erfahrener Mechaniker wie Manuel Wutti weiß beispielsweise das Fachgespräch mit Altmeister Fredi Thaler zu schätzen. Die sachkundigen Kräfte in der Runde waren sich weitgehend einig, Know How sei der zentrale Faktor, egal, ob es um die Zukunft von Konzernen oder Klein- und Mittelbetrieben geht, auch im Privaten zählt dieses „Betriebsmittel“.
Und die Ehre des Handwerks? Ganz einfach. Ein wichtiger Kernsatz lautet wohl: „Niemand ist alleine schlau.“ Man meidet eine große Klappe. Man kann was man sagt. Man macht sich nicht wichtig, sondern macht gute Arbeit. Zugegeben, eine etwas gewöhnungsbedürftige Haltung in Zeiten, da geschniegelte Selbstdarsteller kurzfristige Triumphe feiern.
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