Steirische Politik
Zukunftsfähigkeit der Politik

Ich hatte im Jahr 2015 erstmals das Bedürfnis, diese Art Wahlkampf-Rezensionen zu schreiben. Wie ein Konzert, eine Theateraufführung, eine Ausstellung oder Buchrezension im Feuilleton besprochen wird, haben auch wahlkämpfende Parteien solche Beachtung verdient.

Das Hauptmotiv ist simpel. Im Internet, speziell in den Social Media, dominieren Bündel von Propaganda und Gezänk. Werbesprüche und launige Kommentare, die teils als Speichelleckerei daherkommen, teils als purer Haß.

Ich fand es interessant, die jeweils wesentlichsten Slogans aufzugreifen, a) zwischen den Parteien zu vergleichen und b) an der Realität des Gemeinwesens zu überprüfen. Dazu kommt – berufsbedingt - mein spezielles Interesse am Thema Kulturpolitik, das freilich mit vielen anderen Genres verknüpft ist.

Es läßt sich allgemein sagen: Wo immer die aktuelle Politik eine Vergangenheit mystifiziert, in die wir nicht zurückkehren können, sollten auf den Dächern die Sirenen angehen. Ich möchte auch nicht mit leeren Containerbegriffen und hohlen Phrasen belästigt werden. Beides kann jederzeit beliebig befüllt werden. Daher weiß ich in solchen Fällen nie, was mir der Absender eigentlich sagen will.

Das macht Leute verdächtig. Phrasendrescherei ist also stets ein Alarmzeichen, daß mich jemand hinters Licht führen wird, weil er mich mit verdeckten Intentionen behelligt. Einen besseren Grund, um seine Absichten bedeckt zu halten, wird man kaum finden.

Die Schmeichler, die Süßholzraspler, die Marktschreier und, um einen ganzen alten Begriff zu strapazieren, die Roßtäuscher haben natürlich in Wahlkampfzeiten Konjunktur. Wir müssen aus all den Botschaften jeweils herausfiltern können, was seriös, ernstgemeint und machbar ist. Schwierig!

Aus jüngsten Streitgesprächen in Deutschland höre ich, man ringe darum, dem politischen Personal wieder klar zu machen: Erst das Land, dann die Partei, dann die Person. Und das vor dem Hintergrund, wie ihn ein Exponent der CDU betonte: Das Amt kommt zum Mann, nicht der Mann zum Amt.

Diese zwei Empfehlungen könnte man als fundamentale ethische Forderung an die Politik aushängen. Halten wir also fest, die Bewerberinnen und Bewerber um politische Ämter wüßten schon, was zu tun wäre. Sie tun es bloß in weiten Bereichen nicht. Gut, nehmen wir an, das ist Menschenmaß. Wir sind verführbar und auffallend viele Funktionstragende verlieren ihr Schamgefühl lange bevor sie ein Amt verlieren.

Daran ist nichts neu. Aber derzeit ist beunruhigend, wie viel davon gerade sichtbar wurde. Ibiza, gesetzwidrige Parteienfinanzierung (womöglich mit Schwarzgeld), Spesen-Exzesse, der Eurofighter-Sumpf und all das im Zusammenhang von Steuerflucht sowie Korruption, worin Österreich international ziemlich weit vorne liegt. Da sollten sich allerhand prominente Leute der Spitzenpolitik schleunigst den treuherzigen Blick aus dem Gesicht wischen.

Social Media

Daß unsere Leute Untertanen sind, durfte 1848 formell enden. Es brauchte allerhand praktische Übung, sich daraus zu staatsbürgerlicher Qualität zu entwickeln. Die völlige Inkompetenz unserer letzten Kaiser wurde von einer präfaschistischen Republik abgelöst, von Verhältnissen, die Hitler zu nutzen wußte. Aus der Tyrannei und Schamlosigkeit ging es unter vielem Heucheln und Leugnen in die Zweite Republik.

Ich möchte annehmen, diese Unarten wird man nicht von heute auf morgen los, das braucht einige Generationen. Da sind nun meine Mitmenschen, die heute in überwiegender Zahl Medienzugänge haben, wie es bisher nie auch nur vorstellbar war. Das ist radikal neu. Der öffentliche Raum als historischer Ort öffentlicher Debatten wurde von einer Info-Sphäre überlagert, von einer Art Medienumwelt, für die uns teilweise noch die Medienkompetenzen fehlen.

Drum geht es zum Beispiel bei Kontroversen via Social Media so hemmungslos zu, daß unsere gesetzgebenden Instanzen sehr alt aussehen. Zur Erinnerung an einen exemplarischen Fall: Die deutsche Politikerin Renate Künast mußt sich jüngst von einem Gericht amtlich mitteilen lassen, per Massenmedium (Facebook) übermittelte Artigkeiten wie „Stück Scheiße“ oder „altes grünes Dreckschwein“ stellten „keine Diffamierung der Person der Antragstellerin und damit keine Beleidigungen“ dar.

Dazu möchte freilich betont sein, es sollte nicht unbedingt eindeutiger Gesetze bedürfen, damit ein angemessener Umgang in menschlicher Gemeinschaft möglich ist. Das meint zum Beispiel einen Gewaltverzicht in der Sprache, um den sozialen Frieden zu sichern. Das müßten wir auch so hinbekommen, daran könnte uns selbst ohne jeglichem Gesetzesdruck viel liegen.

Österreich hatte, wie eingangs schon erwähnt, mit der Ibiza-Affäre jüngst reichlich Gelegenheit, etwas über die ethische Potenz erfolgreicher Funktionäre herauszufinden. Nun bietet der Korruptions-Sumpf, in dem der Milliarden schwere Eurofighter-Deal dümpelt, eine nächste und sehr interessante Gelegenheit, zu erfahren, wie sehr politisches Spitzenpersonal dem Umgang mit aufrechten Verträgen und geltendem Recht gewachsen ist.

Ich bin erleichtert, mich an das Gros der Wahlkampfreden in jüngster Vergangenheit nicht mehr zu erinnern, dann das war abschnittweise ein Fest der Geringschätzung und des Herabwürdigens von Andersdenkenden. Es ist ein Schande, was sich Leute wie Herbert Kickl dabei herausgenommen haben, wie seinesgleichen hinterher auch noch betonen, solche Grobheiten müsse man in einem Wahlkampf tolerieren.

Das müssen wir nicht. Menschenverachtung ist immer Menschenverachtung und beschädigt eine Gemeinschaft. All das wird laufend durch trainierte Kräfte garniert, die bei Interviews gerne und oft betonen: „Bevor ich auf Ihre Fragen eingehe, lassen Sie mich sagen…“

Solche Verhöhnung grundsätzlicher Optionen einer Demokratie, so ein Mißbrauchsversuch, um die Vierte Gewalt im Lande zu übersteuern, geht mir unsäglich auf die Nerven. Ich finde es sehr provokant, wenn solche Schnösel meine Intelligenz beleidigen und mir solche Ausritte zumuten.

Wie zeigt sich das dann auf regionaler und auf lokaler Ebene? Weitgehend gar nicht. Kritische Diskurse suche ich vergeblich. Politisches Personal klappert Veranstaltungen ab, um sich zu zeigen, richtet aber heut keine Round Tables mehr ein, an denen Themen besprochen, debattiert werden könnten. Ich bin sehr neugierig, was sich nun an den Taten zeigt, wie sich die Funktionstragenden eine Zukunftsfähigkeit der Politik vorstellen.

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