Spätsommer am Gartenzaun
Unterwegs auf den Flugrouten der Zugvögel
Sonniger Tag in Wien. Der Sommer kommt in die vermutlich letzte heiße Phase, die man dann trotz der Hitze über 30 Grad doch irgendwie genießt. Die letzte Phase nicht prophezeit von den Wetterfröschen, sondern weil manche Zugvögel schon auf Abflug sind. Ein Gartenbericht über den Zaun hinaus.
Kurzurlaub im Garten
Es ist diese Zeit Ende August, in der auch seltsame Besucher in so manchem Garten auftauchen. So hörte ich eines morgens eine Dohle quietschend über dem Haus fliegen. Hätte mir die App diese Erkenntnis nicht verschafft, hätte ich es unter skurrile Quitschente aus einem 1€-Shop getan. Dabei ist es nicht ganz so unwahrscheinlich auch eine Dohle anzutreffen, denn die Stadt Wien verzeichnet die Nistplätze des streng geschützten Rabenvogels eigens auf einer Umweltgut-Landkarte. Die Dohlen als Zugvögel oder doch war es ein jüngst Ausgeflogenes auf der Suche nach eigenem Revier? Der digitale Klugscheißer Wikipedia klärt auf: "Obwohl Dohlen im Großteil des Verbreitungsgebiets das ganze Jahr über anzutreffen sind, ziehen die meisten Populationen im Winter aus den Brutgebieten fort. Weil wegziehende Brutpopulationen durch Wintergäste ersetzt werden, fällt die Abwanderung aber oft nicht auf."
Ein Mal Strauch mit Frühstück, bitte
Ein anderer Morgen mit einem neuen Besucher. Ein paar Zilpzalpe haben auf ihrer Reise zum Mittelmeer eine Rast in Sträuchern und auf der Badetränke in unserem Garten gemacht. Die Vögel, die man so selten, weil unscheinbar, zu Gesicht bekommt, haben unseren Garten offenbar auf ihre must-stay-Liste der Zwischenstopps gen Süden gesetzt. Ein drittes Jahr infolge beehren sie uns schon. Sie sind zu hören und kaum zu sehen. Erblickte ich ein Exemplar, ist es auch schon wieder versteckt und ich schaffe kein Foto zu machen. Nur eins verspätetes und zwar von einem leeren Strauch.... auf dem Foto zeichne ich euch den Vogel händisch ein - freilich nicht als Bestimmungshilfe :). Frech sind diese Vögel also auch und definieren "one-night-stand" auf ihre Art.
Dem Horizont entgegen
Doch nicht alle Zugvögel kommen auf ihrem Flug so leicht klar. Die Mauersegler gehen durch eine harte Schule, bevor sie sich auf den Weg machen. Es beginnt spätestens mit vier Wochen nach dem Schlüpfen, wenn es heißt: "Liegestütze!" Sie trainieren Ihre Muskeln, simulieren das Fliegen und werden flügge, wo die Eltern längst bereits am Zug Richtung Äquator sind. Auch ihre Nester sind in Wien streng geschützt und auf der Landkarte des Wiener Umweltguts eingezeichnet. Andere Langstreckenzieher haben schon am Start seine Hürden zu meistern. Die Trauerschnäpper haben einen anderen Rhythmus für ihre Wanderungen. Sie kommen erst in Mai zu uns, wo die meisten Brutplätze schon besetzt sind. Ein mächtiges Problem, das sie in Deutschland zur bedrohten Art werden ließ und in 2005 auch in Österreich dafür sorgte, dass die Vogelart vom Umweltbundesamt auf Vorwarnstufe gesetzt wurde. Ich treffe die Vögel beim Biotop des Gänsehäufels* an, wo sie in einer kleinen Truppe ein Refugium fanden. Sie scheinen neugierig zu sein und posieren auch für ein Foto, wenn ich brav auf Distanz bleibe. Komme ich zu nah, sind sie die Meister der Tarnung und wie verschwunden unter dem Zaubervorhang eines Harry Potter. Ein Youtube-Ornithologe kennt es und erzählt mehr davon in einem Video.
Gefährliche Stadt
So unbegreiflich es ist, wie diese Tiere ihre Fähigkeiten entwickeln, so erschütternd sind die Verluste derer, die es nicht schaffen oder einfach kein Glück hatten. All ihren natürlichen Künsten zum Trotz sind die Zugvögel in Wien den höchst unnatürlichen Gefahren der Stadt ausgesetzt. Ähnlich wie wir mit einem Auto kommen manche Vogelarten mühelos auch auf Geschwindigheiten jenseits der 100 km/h. Der Unterschied ist, sie sitzen nicht gemütlich und geschützt in einer fliegenden Untertasse oder tragen ein Flughelm. Eine Situation, in der sich wohl auch eine Schwalbe befand, die in der Paulinengasse ihren Tod fand. Die Heckscheibe eines Autos, ein dumpfer Aufprall, der den Fahrer etwas erschrickt und der Vogel bleibt am leeren Parkplatz im Schock liegen. Wie hart kann eine Heckscheibe für einen Vogel wohl sein? Jedenfalls viel zu hart, wenn es ihm den Nacken brechen kann.
Vogelaufprall - was tun?
Manchmal gibt es aber Überlebenschancen nach einer Kollision. Was kann man da tun? Meist reicht es das Tier vorsichtig in ein Karton mit Luftlöchern zu geben und 1-2 Stunden abwarten, ob es dem Vogel besser geht. Ist es nicht der Fall, sollte der Weg zur Wildtierhilfe der Stadt Wien genommen werden. Ratsam ist es, weil viele Vögel spezielle Nahrung oder Verabreichung benötigen.
- Vogelaufprall auf unbewegliche Glasflächen wie Fenster, Lärmschutzwände usw.:
Hier ist die Lösung verhältnismäßig einfach. Muster in Form von Aufklebern und Vorhängen verhindern, dass z.B. Bäume sich auf dem Glas spiegeln und Vögel sie sonst als real für ihren Anflug wahrnehmen. Die Wiener Umweltanwaltschaft schlüsselt viele geprüfte Muster auf, die dann leicht bestellt oder im diy-Stil selbst erstellt werden können.
- Vogelaufprall auf beweglichen (Glas)Flächen:
Gehört die verglaste Fläche zu einem fahrenden Auto, Windrad oder Spannungsleitung, sinken die Überlebenschancen der Vögel radikal. Die Vögel konnten die Geschwindigkeit nicht einschätzen oder haben nicht schnell genug ausweichen können. Nur wenige Vögel überleben eine Kollision und können dabei vielfältige Verletzungen aufweisen. Die Wildtierhilfe hat die traurigen Vorkommnisse zusammengefasst und listet die Verhaltensweisen auf, die Vögel nach verschiedenen Aufprallverletzungen aufweisen können. Wie sieht eine Gehirnerschütterung bei einem Vogel aus? Was bedeutet es, wenn ein Vogel erbricht oder aufgeplustert ist? Die Traurigkeit für die von mir gefundene Schwalbe wird dadurch nicht weniger. Auch sie ist in Wien eigentlich streng geschützt. Ruhe in Frieden, kleiner Vogel.
* Meine vollständige Beobachtung am Biotop mit allen Foto- und Audioaufnahmen sind auf ebird dokumentiert.
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