Eine Art Schlüssel zu Tibet
Text: Franz Waditzer
Tibet um 1930, das geheimnisvolle Dach der Welt, der Sitz erleuchteter Mönche, aber einer rebelliert: Gendün Chöpel wendet sich vom klösterlichen Leben ab und bricht in die Moderne auf. Der Skandal: Er ist ein reinkarnierter Mönch und damit ein Mitglied der herrschenden Elite
"In Tibet" schreibt Gendün Chöpel in einem Gedicht 1946, "ist alles, was alt und traditionell ist, ein Werk Buddhas. Alles Neue hingegen ein Werk des Teufels.
Das ist die traurige Tradition meines Landes."
Gendun Choephel war ein Wanderer zwischen den Welten, gleichzeitig Träumer, Rebell und Forscher. Er lebt in einer historischen Periode, die bestimmend für die Zukunft seines Landes ist, eingeklammert durch die Invasion der britischen Kolonialisten 1903 und den Einmarsch der Chinesen 1951. Tibet war damals ein zerrissenes Land an der Schwelle des Wandels. Die Versuche die veralteten Sozialstrukturen aufzubrechen, scheiterten am Widerstand des konservativen Adels und der Klöster.
Angry Monk
Der Ethnologe Luc Schaedler hat einen Film über Gendün Chöpel gedreht:
"Angry Monk ". "Bei meinen Versuchen", sagt Schaedler, "Tibet mit all seinen Widersprüchen zu verstehen, bin ich immer wieder auf einen Namen gestossen: Gendün Chöphel, ein Mönch aus dem Alten Tibet.
Seiner eigenen Gesellschaft, im Westen zum Mythos verklärt, stand er skeptisch gegenüber. Tibet, für viele das Modell einer gewaltfreien, idealen Gesellschaft, voll von Magie und Spiritualität, hielt er für dringend reformbedürftig.
Wie stark das Leben des rebellischen Mönchs mit dem Schicksal von Tibet verknüpft war, entdeckte ich erst nach und nach, während meiner Reise auf seinen Spuren. Für mich ist er eine Art Schlüssel zu Tibet."
Gendün Chöpel kommt durch seinen Mentor Geshe Sherab Gyatso mit sozialpolitischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts in Kontakt. Er erkennt, dass die jahrhundertelang von der Welt abgeschiedene Feudalgesellschaft dringend reformiert werden muss, will sie ihren eigenständigen Weg in die Neuzeit finden.
Frauen spielen eine zunehmende Rolle
Gendün Chöpel wird neugierig auf die Welt, außerhalb der Klöster. Frauen spielen eine zunehmende Rolle für ihn. Er reist nach Indien, Sri Lanka und Nepal, lebt dort über ein Jahrzehnt, studiert Pali, Sanskrit und Englisch und befasste sich mit westlichen Philosophien und Gesellschaftsmodellen. Sein sehnlichster Wunsch auch nach Europa und in die USA zu reisen, wird nie in Erfüllung gehen. "Als wir gemeinsam durch Indien reisten, wusste ich anfangs nicht, dass er ein reinkarnierter Lama war. Er war intelligent, sehr sogar, aber er rauchte auch, soff und schlief mit Frauen. Ich wusste wirklich nicht, dass er ein so grosser Gelehrter war," sagte Golok Jigme, ein Reisegefährte, in einem Interview.
Ein Universalgenie
"Erst recht berühmt im Kloster wurde er, als er aus mechanischen Teilchen von kaputten Uhren kleine Boote bastelte und diese über einen Teich fahren liess. Mir sagte er einmal, dass es möglich sein müsste eine Mühle zu konstruieren, die ohne den Antrieb durch Wasser auskommt," sagte Alak Yongtsin, ein Schulfreund.
Über seine Schriften, Artikel, Bilder und Skizzen hat er Spuren bis heute hinterlassen. Durch die kritische Beobachtung der eigenen Gesellschaft, die Hinwendung zu politischen Themen und dem Versuch, sie im Alltag umzusetzen, verkörpert er die Anfänge eines kritischen intellektuellen Denkens innerhalb der tibetischen Gesellschaft. "Gendün Chöpel Ringpoche war ein Universalgenie, das im eng konservativ denkenden Tibet seiner Zeit nicht auf Verständnis stoßen konnte. Sein Werk ist eine Schatzgrube an allgemein kulturellen, geschichtlichem und buddhistischem Wissen", schrieb Dagyab Rinpoche, spiritueller Leiter des Tibethaus Deutschland.
Von den Engländern denunziert
Natürlich sieht er auch die Missstände in seinen damaligen Gastländern: "Die Kolonialisten haben Armeen von Banditen ausgesandt, die sie Händler nannten. Sie haben in Indien neue Lebensformen eingeführt, doch ihre Gesetze sind nur gut für die Reichen. Den Armen, so wenig sie auch haben, wird das Blut noch aus den Adern gesogen. Auf diese Weise wurden die sogenannten Wunder dieser Welt erbaut," schreibt er 1941 über den britischen Kolonialismus.
Ab 1941 hatte Gendün Chöphel in Darjiling und Kalimpong Kontakte zu radikalen Exiltibetern. Gegenüber der tibetischen Regierung in Lhasa wurde er von britischen Diplomaten als „Kommunist“ bezeichnet. Unter fadenscheinigen Gründen wird er nach seiner Rückkehr in Tibet verhaftet und zu drei Jahren Haft verurteilt. 1951, kurz nach dem Einmarsch der Chinesen in Lhasa, stirbt Gendun Choephel: "Jetzt haben wir den Dreck", soll er die politischen Ereignisse kommentiert haben.
Noch heute sind manche Tibeter überzeugt davon, dass nur er das tragische Schicksal ihres Landes hätte abwenden können. Gerade in den letzten Jahren ist er für viele junge Tibeter wieder zu einer wichtigen Identifikationsfigur geworden.
Trailer des Films "Angry Monk": http://www.youtube.com/watch?v=-eoMIc55Mns
Buch: Die Welt hat mich trunken gemacht. Die Lebensgeschichte des Amdo Gendün Chöpel (Elke Hessel, Theseus)
http://www.elke-hessel.de/publikationen/choepel.html
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