Teil 2 des großen Glaubenskirchen-Interviews mit Anna Kampl und Eva Hörmann
„Will Menschen nicht tolerieren, sondern respektieren“
Im zweiten Teil des Interviews mit Pfarrerin Anna Kampl und Kuratorin Eva Hörmann geht es um Integration, die Vielzahl der Zuwanderer, die in der Glaubenskirche eine Heimat gefunden haben, die Ökumene und Zukunftsvisionen mit einer Glaubenskirche als kleiner Gegenpol zu einer immer hektischer werdenden Welt.
Wie funktioniert die Ökumene in Simmering?
Anna Kampl: Ich bin begeistert. Weil ich gerade auch auf der menschlichen Ebene sehr viel Offenheit und Wertschätzung erlebe, sowohl bei der katholischen Kirche wie auch der altkatholischen.
Die Glaubenskirche ist vor allem auch für viele Migrantinnen und Migranten eine Heimat geworden. Hat das die Gemeinde verändert?
Anna Kampl: Gerade auch ältere Gemeindemitglieder sagen immer wieder, wie gut und schön es ist, dass durch die Migrantinnen und Migranten so viele junge Menschen nachkommen. Ich denke, dass das der Kirche, dass das unserer Gemeinde gut tut.
Eva Hörmann: Ich lebe jetzt seit rund 40 Jahren hier, und diese Gemeinde war eigentlich immer, von Anfang an, eine Zuwanderergemeinde. Die erste Kirche, eine Barackenkirche, wurde maßgeblich von Flüchtlingen gebaut. Auch der erste Pfarrer war ein Zuwanderer.
Integration – Beziehung aufbauen, Vertrauen schaffen
Gibt es ein Patentrezept für Integration?
Eva Hörmann: Für mich ist es der Austausch – nicht dieses „Du musst jetzt so sein wie ich, sonst kann ich Dich nicht annehmen“ und umgekehrt auch nicht dieses betuliche „Jetzt werde ich so wie Du und finde Alles toll, was Du machst, weil das einfach so exotisch ist“. Beides finde ich nicht gut. Aber ein intensiver Austausch, bei dem man darauf eingeht, wie das Gegenüber verschiedene Dinge empfindet und erlebt und wo man Dinge gemeinsam gestaltet, ist aus meiner Sicht ein guter Weg. Das verlangt sehr viel Respekt. Toleranz ist dagegen ein Wort, das ich in diesem Zusammenhang nicht so sehr mag. Denn ich will die Leute nicht tolerieren, sondern sie respektieren und in weiterer Folge eine Freundschaft aufbauen.
Anna Kampl: Ganz wesentlich ist die Beziehung, die man zu den Menschen aufbaut. Denn wenn man eine Beziehung aufbaut und Vertrauen schafft, dann entsteht eine Gemeinschaft, die auch Unterschiede gut aushält – und die in der Glaubenskirche natürlich auch vom gemeinsamen Glauben getragen wird. Und das passiert hier bei uns einfach. Viele unserer älteren Gemeindemitglieder haben überdies in jüngeren Jahren ähnliche Erfahrungen – Verfolgung, Flucht - gemacht wie unsere heutigen Flüchtlinge. Vielleicht ist bei uns in der Gemeinde auch deshalb eine besondere Offenheit, die es anderswo vielleicht nicht so gibt, die anderswo schwerer aufzubauen ist, weil es diese Basis nicht gibt.
Vision 2030: Ein kleiner Gegenpol, in dem Kinder herumwuseln
Abschließende Frage: Welche Vision habt Ihr für die evangelische Pfarrgemeinde Simmering, für die Glaubenskirche im Jahr 2030? Das sind nur elf Jahre, ein überschaubarer Zeitraum….
Eva Hörmann: Dann bin ich 76…also ich habe da einen Wunsch, denn Visionen haben ja viel mit Wünschen und Träumen zu tun: Dass hier Kinder und Jugendliche herumwuseln, sich wohlfühlen und dass es auch Seniorinnen und Senioren gibt, die – knackig und vital oder auch schon etwas bedürftig – hier einen Raum finden, von dem sie wissen, dass hier Gott gepredigt wird. Dass hier Religion gelebt wird, aber im Lichte der Zeit. Das heißt nicht, dass wir jegliche Modernisierung mitmachen, egal wie sie daherkommt, sondern dass wir sehr wohl unsere Wurzeln, unsere Ziele bedenken, aber auch kritisch überdenken. Und, dass wir stets nach dem Motto „ich tue“ leben. Denn „man sollte“ hasse ich.
Anna Kampl: Meine Vision ist, dass wir ein kleiner Gegenpol sind zu dem, wie sich unsere Gesellschaft entwickelt mit diesem ständig wachsenden Leistungsdruck, dem schon die Kinder in der Schule unterworfen sind. Ein Gegenpol dazu, dass es überall immer noch mehr und noch mehr sein muss. Ich glaube, dass wir hier ein großes Potenzial haben, die Menschen anzusprechen. Ich erlebe das bei Kindern, aber immer mehr auch bei der mittleren Generation – dass hier das Bewusstsein wächst, das etwas fehlt, wo wir sehr viel zu bieten haben. Dass wir ein Ort sind, wo jede und jeder willkommen ist, wo jede und jeder ohne Druck zu haben dabei sein darf. Wo jede und jeder auch einfach schauen kann, ob es für sich selbst der richtige Ort ist. Da kann die Glaubenskirche sehr viel geben.
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