NS-Raubkunst. Die Sammlung Mauerbach und ihre unrühmliche Geschichte

Tausende Kunstwerke lagerten von 1966 bis 1994 in der Kartause Mauerbach. Der Publizist, Holocaust-Überlebende und Aufdecker von Nazi-Tätern Simon Wiesenthal nannte den Bestand "Galerie der Tränen". Auf seinen Druck hin veröffentlichte das Bundesdenkmalamt 1969 eine Liste der „herrenlosen“ Kunst. | Foto: BB Archiv/Preiser
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  • Tausende Kunstwerke lagerten von 1966 bis 1994 in der Kartause Mauerbach. Der Publizist, Holocaust-Überlebende und Aufdecker von Nazi-Tätern Simon Wiesenthal nannte den Bestand "Galerie der Tränen". Auf seinen Druck hin veröffentlichte das Bundesdenkmalamt 1969 eine Liste der „herrenlosen“ Kunst.
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WIEN/MAUERBACH (cog). Vor zwanzig Jahren, vom 2. bis 4. Dezember 1997, fand in Großbritannien die so genannte "Londoner Konferenz" statt, in der 41 Staaten, Staatsbanken und Opfergruppen Herkunft und Verbleib von "Nazi-Raubgold" debattierten und Restitutionsmaßnahmen erörterten. Doch die Rückgabe der Wert- und Vermögensbestände an Holocaust-Geschädigte fand keine allgemeine Zustimmung.
In Österreich hatte erst ein Jahr davor eine groß angelegte Auktion für positive Aufmerksamkeit gesorgt, als eine große Zahl an "herrenlosen" Kunstwerken zugunsten von NS-Opfer versteigert wurde.
In diesem Spannungsfeld erhält die Kartause Mauerbach einen Platz als Fußnote der bisweilen unrühmlichen Restitutionsgeschichte der Republik: Das ehemalige Kloster war fast drei Jahrzehnte lang Depot für NS-Raubkunst und andere nach dem Krieg nicht mehr zuordenbare Objekte.

Vermächtnis der Schande

Über achttausend Kunstobjekte lagerten von 1966 bis 1994 in der Kartause Mauerbach. Der Publizist, Holocaust-Überlebende und Aufdecker von Nazi-Tätern Simon Wiesenthal nannte den Bestand "Galerie der Tränen". Auf seinen Druck hin veröffentlichte das Bundesdenkmalamt 1969 eine rund 8.000 Einträge umfassende Liste „herrenloser“ Kunst – ein beschämend bescheidener Versuch der Bundesregierung, die BesitzerInnen ausfindig zu machen. Nur ein Bruchteil der Kunstwerke, 269 Objekte, konnte in Anschluss daran restituiert werden. Der Rest ging in das Eigentum der Republik über.
1984 machte ein Artikel in der US-amerikanischen Kunstzeitschrift ARTnews auf die Sammlung Mauerbach als "Vermächtnis der Schande" aufmerksam, woraufhin die Bestände erneut veröffentlicht wurde. Auch dieses Mal konnte wieder nur eine Hand voll Werke restituiert werden. Die Regierung beschloss angesichts einer aufmerksam gewordenen (Welt-)Öffentlichkeit, das Eigentum an die Israelitische Kultusgemeinde zu übertragen: Der Bestand, der trotz der zwei Kulturgutbereinigungsgesetze kaum dezimiert werden konnte, wurde im Herbst 1996 von Christie's im Museum für Angewandte Kunst (MAK) versteigert und der Netto-Erlös in Höhe von damals 122 Millionen Schilling (Angabe laut Wiener Zeitung vom 3. Mai 1997) für vor allem jüdische Opfer der NS-Zeit verwendet.

Versäumte Wiedergutmachung

Die Mauerbach-Auktion war als versöhnlicher Abschluss eines traurigen Kapitels gedacht. Offiziell hieß es damals, dass die BesitzerInnen der Kunstwerke nicht ermittelt werden konnten. Doch die Recherchen der Provenienzforscherin Sophie Lillie deckten Jahre später, als die Archive, Listen und Verzeichnisse geöffnet wurden, auf, dass es sich bei den Werken aus dem Mauerbach-Bestand mitnichten um "herrenlose" Kunst gehandelt hat: Die auf den Rückseiten der Gemälde vermerkten Depotnummern und Aufschriften hätten eine Identifikation von einer Vielzahl an EigentümerInnen möglich gemacht.
Leonhard Weidinger, der im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung als Experte im MAK tätig ist, weist darüber hinaus darauf hin, dass schon bei der Auktion die Herkunft einzelner Objekte bekannt gewesen sei, wie Beschreibungen im Ausstellungskatalog zeigen.

Bürokratieschlacht um "herrenlose" Kunst

Was damals zu Recht als "Schande" bezeichnet wurde, fasst Weidinger heute rückblickend als "Schlamperei" zusammen. Auch die veröffentlichten Listen über die Werke seien vielfach nicht aus strategischen Gründen, sondern aus "reiner Faulheit" knapp und bündig gehalten worden. Deshalb, aber auch wegen eines problematischen Beweisführungsprozederes sowie der auf die Wiener Zeitung beschränkten Kundmachung konnten nur ganz wenige Kunstwerke aus dem Mauerbach-Bestand restituiert werden.
Dem Zustandekommen des Mauerbach-Bestandes selbst sei eine "Bürokratieschlacht" zwischen Österreich, Deutschland und den Alliierten vorausgegangen, der dann alle Beteiligten letztlich irgendwann müde geworden sind, so Weidinger. Es handelte sich bei den Objekten um jene Reste von in den letzten Kriegsjahren zum Schutz vor Bomben in Depots ausgelagerten und teilweise aus Enteignungen stammenden Beständen, die sich nicht mehr zuordnen ließen.
"Auch wenn man nie ganz sicher sein kann, siehe Gurlitt – soweit wir heute wissen, gingen alle solchen Objekte nach Mauerbach", bezweifelt der Forscher die Existenz eines weiteren Depots: "Aber natürlich gibt es vielleicht noch da oder dort einen alten Dachboden, auf dem etwas lagert." Die jetzigen EigentümerInnen sind zum Teil Museen und Institutionen, aber auch viele unbekannte Privatpersonen, die Kunstwerke aus dem Mauerbach-Bestand in gutem Glauben gekauft haben.

Mauerbach-Fall als symptomatisch

Oliver Rathkolb, Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien, betont, dass Österreich zwar restituiert habe, aber im Rahmen eines Prozederes, das ausgesprochen kompliziert war und von einer sehr passiven Bürokratie exekutiert wurde. Der Umgang mit dem Mauerbach-Fall durch die Politik seit den 1960er Jahren offenbart ihm zufolge, eine merkwürdige Mischung aus Ignoranz und Eigensinnigkeit, wenn es darum ging, Nazi-Politiken und die brutale österreichische Kollaboration auf allen Ebenen sowie die Nachkriegsproblematiken der Wiedergutmachung einzugestehen. Rathkolb beschreibt die Tendenz, Mauerbach lange Zeit einer Festung gleich von der Öffentlichkeit abzuriegeln, als symptomatisch dafür.
Der Historiker sieht den Grund für diesen Umgang mit "herrenloser" Kunst auch darin begründet, dass keine politische Debatte entfacht werden sollte, die zwangsläufig in der Demaskierung des Opfer-Mythos Österreichs gemündet hätte (der schlussendlich während der Waldheim-Affäre zu bröckeln begann und dem 1991 erstmals durch einen politischen Repräsentanten, Kanzler Franz Vranitzky, widersprochen wurde). Kunstobjekte seien, so Rathkolb, wichtige Elemente des nationalen Gedächtnisses. Deswegen müssten historische Überlegungen zum kulturellen Erbe immer Teil eines aufgeschlossenen, demokratischen Erinnerns sein.
Erst am 3. Dezember 1998, ein Jahr nach der Londoner Konferenz und einen Tag, bevor in Österreich das Kunstrückgabegesetz in Kraft treten würde, kam es schließlich auch zu einer internationalen Einigung: 44 Staaten beschlossen in Washington elf Grundsätze für die Rückgabe von Vermögenswerten aus der Zeit des Holocausts. Die Restitution (Rückvergütung) ist in Österreich bis heute nicht abgeschlossen.

(ungekürzte Fassung, Printversion, erschienen am 29. November 2017)

ZUR SACHE
• Beim Mauerbach-Bestand handelte es sich um einen Restbestand an ehemals während der NS-Zeit entzogenen und nicht zuordenbaren Kunst- und Kulturgütern. Teil davon waren vor allem Kunstwerke, welche die Republik vom Central Art Collecting Point in München übernommen hatte und trotz der beiden Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetze (1969 und 1985) nicht restituiert werden konnten.
• Erst durch das am 4. Dezember 1998 in Kraft getretene Kunstrückgabegesetz ist der Staat verpflichtet, auf Rückforderungen von NS-Raubkunstwerken wenig bürokratisch und fair zu reagieren. Im selben Jahr wurde eine Kommission für Provenienzforschung eingerichtet. Sie untersucht die Bundesmuseen und Sammlungen nach Objekten, die heute in Folge einer NS-Entziehung im Eigentum des Bundes stehen. Aktuelle Provenienzforschung konzentriert sich aber nicht nur ausschließlich auf Recherchen zur Herkunft von Kunst- und Kulturgütern, sondern bemüht sich auch um die wissenschaftliche Aufbereitung von historischen Strukturen des NS-Entzugs und der Restitutionspraxis sowie von Quellen, um die Grundlagen für die Recherche zu erweitern. Die Kommission tagt mehrmals im Jahr und fasst seine Empfehlungen im Restitutionsbericht zusammen, der der Politik vorgelegt wird.
• Die Kartause Mauerbach beherbergt und verwaltet heute eine Sammlung historischer Bauteile. Diese dienen sowohl der Dokumentation vergangener Handwerkstechniken als auch zukünftigen Restaurierungen und der Grundlagen-Forschung.

QUELLEN
Die Mauerbach-Auktion von 1996 (Kunstdatenbank. Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus)
"A Legacy of Shame" (ARTnews, Andrew Decker)
"Recollecting. Raub und Restitution" (Ausstellung im MAK 2008/09)
"The Mauerbach-Skandal" (ARTnews; Konstantin Akinsha)"From 'Legacy of Shame' to the Auction of 'Heirless' Art in Vienna: Coming to Terms 'Austrian Style' with Nazi Artistic War Booty " (German Studies A
ssociation Conferenc, Oliver Rathkolb)
"'Restlverwertung'. Über den Umgang Österreichs mit nach 1945 'übriggebliebenen' Objekten" (Gedenkdienst, Leonhard Weidinger)
 

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