Thomas Stelzer im Gespräch mit Walter Reiss
Nationalismus - eine politische Pandemie?
STADTSCHLAINING/OBERWART. „Gemeinsam heiße Eisen anpacken“, so Gerhard Harkam, GF des Concentrums Stadtschlaining, bei der Begrüßung eines äußerst interessanten Gesprächsabends in der Evangelischen Kirche A.B. in Oberwart. Thomas Stelzer, Leiter der Internationalen Antikorruptionsakademie IACA und langjähriger UNO-Spitzendiplomat, gab im Gespräch mit Walter Reiss eine kompetente Einschätzung der Weltlage und zeigte auch Lösungen auf. Nationalistische und populistische Entwicklungen bedrohen die bisherige Weltordnung. Immer mehr Staaten versuchen, Krisen im Alleingang zu lösen. Aber auch internationale Institutionen wie die UNO und welthistorische Friedensprojekte wie die EU versagen im Krisenmanagement. Spannungen zwischen den Großmächten USA, Russland und China und der von nationalen Egoismen getriebene Umgang mit der Corona-Pandemie, der Klimakrise und den Migrationsströmen gefährden die Vision einer solidarischen Weltgemeinschaft.
Das Gespräch ist im LIVE-Stream im Internet zu sehen.
http://www.evangelisch-ab-ow/online-gottesdienst
Diplomat mit Visionen
Der aus Oberwart stammende Diplomat Dr. Thomas Stelzer war von 2008 bis 2013 enger Mitarbeiter des UNO-Generalsekretärs Ban-Ki-Moon. Anschließend war Stelzer Botschafter in Portugal und leitet nun seit einem Jahr die IACA in Laxenenburg. Ein Institut, das sich durch Bildungsprogramme für Jurist*innen und Politiker*innen aus aller Welt dem Kampf gegen globale Korruption verschrieb. Der UNO-Spitzendiplomat Stelzer folgte der Einladung des Concentrums, das sich für 2021 das Jahresmotto „Gemeinsam heiße Eisen anpacken“ gesetzt hat. Begegnung und Dialog sind unverzichtbare Bausteine für ein friedliches Zusammenleben im 21. Jahrhundert. „Das Gipfeltreffen 1961 zwischen Regierungschef Nikita Chrustschow, Sowjetunion, und John F. Kennedy, Präsident der Vereinigten Staaten, wo auch das Bild der UNO gezeigt wurde, hat sich in mir nachhaltig eingeprägt, sodass ich nach Jahrzehnten am Hudson River meine Diplomaten-Laufbahn startete“, erzählt Stelzer. Die UNO gibt es nicht, um uns das Paradies zu bringen, sondern um uns vor der Hölle zu bewahren – und das hat sie bis jetzt geschafft.
Von Einschätzung der Weltlage zu den Weltgefahren
„Als Amerika-Kenner sag ich, die Angelobung des neuen Präsidenten Joe Biden war eine große Erleichterung. Nach der unglaublichen Polarisierung, die am 6. Jänner mit dem Sturm aufs Capitol explodiert ist, kann nun mit der Rückkehr zur amerikanischen Normalität gerechnet werden. Amerika ist gesellschaftspolitisch gesehen das einzige Land, das sich ohne Druck von außen immer wieder gefunden hat. Der Mythos vom Tellerwäscher zum Millionär hat früher durch harte Arbeit funktioniert. Heute verarmen die Menschen in Amerika, haben kein soziales Netz, keinen Zugang zum Arzt oder zu Bildungseinrichtungen - alles Einflüsse auf Lebensbefinden und Lebensqualität“, so Stelzer.
Migration
Die Migrations-Problematik ist für Thomas Stelzer ein Management-Problem. 270 Millionen Wirtschaftsflüchtlinge sind am Weg zu neuen Perspektiven, davon wollen 20% in den Norden. Alle anderen Migrant*innen suchen ihr Heil in Nachbarstaaten. Während Migrant*innen abhängig sind von den jeweiligen Inlandgesetzen, haben Flüchtlinge einen Rechtsstatus. Wie lange es gut geht, dass wir zuschauen, wenn Menschen täglich im Mittelmeer „absaufen“ ist fraglich. Hilfe vor Ort ist ein Lösungsansatz, um den Menschen in ihrem Land neue Perspektiven zu eröffnen damit sie überleben können.
USA-Russland-China
Das Kräftegleichgewicht zwischen USA, Russland und China hat sich nach 1989 verändert. China ist zu einer Weltmacht aufgestiegen. Das Land hat die Bevölkerung aus der Armut geholt – die Leute haben Geld konsumiert und investiert und sind ganz neue „Player“ geworden. Die Lösungen liegen in der Zusammenarbeit der globalen Welt – fairer Handel und Exporte. China hat auf der ganzen Welt in Infrastruktur und in die Zukunft investiert - vollzieht den Umbruch auf fossile Rohstoffe und nachhaltige Energie. Während Europa auf betrügerische Weise versucht hat, Benzin und Diesel-Autos zu verkaufen, hat China Elektroautos gebaut und einen Führungsstatus erlangt. Wir sollten, anstatt zu jammern, mehr in die Bereiche Forschung und Innovation investieren und am freien Markt agieren. Heute ist China die größte Wirtschaftsmacht!
Die UNO
Der Diplomat Stelzer sieht die UNO als globale Plattform, wo alle globalen Interessen zusammenlaufen, um ausgeglichen zu werden. Wir sehen uns einer radikalen Überalterung gegenüber – wer versorgt unseren alten Menschen? Organisieren und global managen, das kann die UNO sehr gut. Sie schafft es, Menschen in 150 Ländern human zu managen, während 27 EU-Staaten es nicht schaffen, sich auf eine gerechte Verteilung zu einigen. Durch das Einheitsprinzip blockiert sich die EU selbst. „Die wichtigste Lehre, die ich in der UNO gezogen habe, war: Wenn irgendwo ein Gleichgewicht kippt, kommt es zu Krisen, starke Spannungen in einer Auseinandersetzung explodieren oder Finanzsysteme sind gestresst – dann kollabiert eine Bank und alles bricht zusammen.
Klimawandel
Die größte Gefahr sieht Thomas Stelzer in der Klimaerwärmung – wenn wir die nicht in den Griff bekommen, dann wird die Welt „unbelebbar und unbewohnbar“. In den letzten 15 Jahren sind Klimakatastrophen stärker geworden und in kürzeren Abständen aufgetreten. Die Zeichen stehen auf Rot, um unsere Erde für die nächsten Generationen bewohnbar zu erhalten.
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