Leben mit ME/CFS
Mürztalerin liegt seit Jahren in dunklem Zimmer
Carmen Rinnhofer aus Langenwang ist seit einer Infektion mit dem Coronavirus an der schwersten Form von Long Covid erkrankt – sie hat ME/CFS, eine kaum erforschte Krankheit. Seit zweieinhalb Jahren liegt sie in ihrem Zimmer. Die 29-Jährige sammelt mit einem Aufruf Spenden für die Forschung.
STEIERMARK, LANGENWANG. Zweieinhalb Jahre in einem dunklen Zimmer, isoliert von sämtlichen Sinnesreizen, Schmerzen in den Muskeln und Gelenken, ständige Erschöpfung, kein persönlicher Kontakt zur Außenwelt, keine zugelassenen Medikamente: Was unvorstellbar klingt, ist für Carmen Rinnhofer aus Langenwang, im Bezirk Bruck-Mürzzuschlag, Realität. Die 29-Jährige leidet an der schweren neuroimmunologischen Erkrankung ME/CFS – eine der letzten großen Krankheiten, die kaum erforscht ist.
Anlässlich ihres 30. Geburtstag im Jänner, hat sie eine Spendenkation gestartet, um die Forschung voranzutreiben und will damit die Privatinitiative "We&Me Foundation" der Familie Ströck aus Wien unterstützen, um das Leben von Betroffenen nachhaltig zu verbessern. Diese Stiftung engagiert sich für Anerkennung sowie gezielte Bewusstseinsbildung und finanziert Forschungsarbeiten. Familie Ströck erfuhr aus erster Hand, was es heißt, mit dieser Krankheit leben zu müssen.
Denn die junge Langenwangerin hat nur einen Wunsch für die Zukunft: "Nicht mehr leiden zu müssen" wie sie sagt. Mit MeinBezirk spricht Carmen Rinnhofer über ihre Krankheit, ihr Leben vor der Diagnose, wie ein Tagesablauf bei ihr aussieht, behördliche Schikanen und wie es weitergehen kann. Das Interview wurde via Mailverkehr abgewickelt, da ein Telefonat oder ein persönliches Treffen die 29-Jährige zu sehr anstrengen würde, es wieder Wochen dauern könnte, bis sie sich davon erholt hat.
- Wie und wann begann deine Krankheitsgeschichte?
"Meine Krankengeschichte begann Ende März 2022 mit einer Coronavirus-Infektion, wodurch ich das postvirale Infektionssyndrom ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / das Chronische Fatigue Syndrom) und Begleiterkrankungen wie PoTS (Posturales Tachykardie-Syndrom) entwickelt habe."
- Wann hast du gemerkt, dass etwas nicht stimmen kann?
"Es gab einen nahtlosen Übergang von der Akutinfektion hin zur ME/CFS-Symptomatik. Der PCR-Test war zwar inzwischen negativ, aber mein Gesundheitszustand verschlechterte sich weiterhin rapide."
Das ist ME/CFS
- ME/CFS ist die Abkürzung für Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue Syndrom
- ME/CFS ist eine schwere chronische Krankheit, die verschiedene Körpersysteme betrifft
- Ein typisches Merkmal dieser Krankheit ist, dass sich bei körperlicher und geistiger Anstrengung, die Symptome verschlimmern
- Patientinnen und Patienten können an anhaltender Erschöpfung, unerholsamen Schlaf, tiefer Schwäche, Problemen mit Denken und Konzentration, orthostatischer Intoleranz, Schmerzen und anderen Symptomen leiden
- 75 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Am häufigsten tritt ME/CFS bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen (späte Teenager bis Mitte dreißig) auf * Quelle (WE&ME Stiftung)
- Wie hat sich das geäußert?
"Die Symptome waren sehr vielfältig: starker Schwindel, massive Ganzkörperschmerzen, v.a. in Kopf, Beinen und Rücken, ständige Übelkeit, Erbrechen, grippeartiges Fieber- und Schwächegefühl, starke Licht- und Geräuschempfindlichkeit, Lebensmittelunverträglichkeit, Desorientierung und Vergesslichkeit, Unfähigkeit regelmäßig aufzustehen, Ohnmacht nach zu langem Stehen."
- Was bedeutet die Krankheit für dich, welche Einschränkungen hast du dadurch?
Die Krankheit bedeutet den vollständigen Verlust meiner Selbstständigkeit. Ich kann meinen Alltag nicht mehr alleine bewältigen und bin rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen. Meine Mama wäscht mir die Haare, bringt mir das Essen ans Bett, räumt ab etc. Ich kann beinahe keinen Handgriff selbst ausführen und bewege mich ausschließlich von meinem Zimmer ins Bad und wieder zurück."
Carmen Rinnhofer aus Langenwang
"Weitere Strecken im Haus, das ich seit zwei Jahren nicht mehr verlassen kann, zurückzulegen, ist nicht möglich. An schlechten Tagen bin ich zu schwach zum Sprechen. Anfänglich musste ich aufgrund der massiven Muskelschwäche gefüttert werden. Ohne die vollumfängliche Unterstützung meiner Eltern – pflegerisch sowie finanziell – wäre ich nicht überlebensfähig."
- Was habt ihr schon unternommen?
"Aufgrund der vernachlässigten Forschung und Bagatellisierung der Krankheit gibt es keine zugelassenen Medikamente. Die Möglichkeiten einer Therapie sind äußerst begrenzt.
Wir haben mehrere Off-Label Behandlungen versucht, u.a. eine Immunadsorption in einer deutschen Klinik, die schädliche Autoantikörper aufwendig aus dem Blut filtert. Langanhaltende Erfolge blieben leider aus."
- Welche Erkenntnisse wurden daraus gezogen?
"Individuelle Heilversuche sind äußerst kostspielig und keine langfristige Lösung, da sie häufig nicht anschlagen. Es braucht Grundlagenforschung und Medikamente, die die Krankheit ursächlich behandeln."
- Du sprichst von behördlichen Schikanen, wie hat sich das geäußert? Bekommst du eine Unterstützung?
"Nein, ich bekomme keine staatliche Unterstützung. Meinen 'Erhalt' finanzieren zu 100 Prozent meine Eltern. Die mangelnde Gutachterexpertise führt häufig dazu, dass die schweren Einschränkungen durch ME/CFS nicht für eine entsprechende Behinderungseinstufung anerkannt werden. Sehr vielen Patientinnen und Patienten wird beispielsweise trotz schwerer Symptomatik Arbeitsfähigkeit attestiert. Häufig muss staatliche Unterstützung eingeklagt werden – ein enorm belastender sowie existenzbedrohender Aufwand.
- Ist bekannt, wie viele Menschen an ME/CFS leiden?
"Laut konservativen, präpandemischen Schätzungen leben in Österreich bis zu 80.000 Menschen mit ME/CFS. Genaue Daten gibt es nicht, die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein. Es wird zudem davon ausgegangen, dass sich die Zahl der ME/CFS-Betroffenen durch die Pandemie mindestens verdoppeln oder gar verdreifachen wird."
- Was und oder wer gibt dir Kraft, mit der Krankheit zu leben?
"Kraft geben mir meine Eltern sowie meine restliche Familie und meine Freundinnen und Freunde, die mich nie alleine lassen. Zudem setze ich große Hoffnung in die Forschung und hoffe, dass eines Tages eine wirksame Therapie gefunden wird. Darüberhinaus ziehe ich aktuell unsagbar viel Kraft aus der überwältigenden Unterstützung der Spendenaktion. Die Solidarität und Hilfsbereitschaft der Menschen gehören zu den berührendsten Dingen, die ich je erlebt habe."
Carmen Rinnhofer aus Langenwang
- Können deine Freunde dich besuchen oder wie bleibt ihr in Kontakt?
"Nein, Besuch zu bekommen, ist zu anstrengend. Ich habe meine Freundinnen und Freunde seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. In Kontakt bleiben wir übers Handy. Das funktioniert jedoch auch nicht regelmäßig, da ich nicht immer schreiben bzw. Nachrichten lesen kann. Der einzige Besucher, den ich empfangen kann, ist mein Papa. Anfangs konnte er nur für wenige Minuten geräuschlos neben mir sitzen, da ich keine gesprochenen Worte ertragen konnte. Auch Berührungen waren zu viel. Mittlerweile können wir bereits kurze Gespräche miteinander führen.
- Wie sieht bei dir ein Tag aus?
"Ich liege immer in einem vollständig abgedunkelten Zimmer, da Licht und Geräusche für mein überempfindliches Nervensystem unerträglich sind. Ich wache meist gegen 7 Uhr auf, bis ich aufstehen und ins Bad gehen kann, dauert es meistens ein bis eineinhalb Stunden. Anschließend frühstücke ich im Bett, ich kann keine Mahlzeit mehr außerhalb meines Bettes einnehmen. Meine Mama bereitet alles vor, bevor sie in die Arbeit aufbricht. Selbstständiges Zubereiten von Mahlzeiten ist für mich nicht mehr möglich."
"Nach dem Frühstück muss ich mich mehrere Stunden erholen, da Essen und Kauen für den Körper enorme Anstrengungen bedeuten. Diese Zeit verbringe ich regungslos im Bett. Mein Körper fühlt sich dabei bleischwer an, und jede Bewegung kostet Energie, die ich nicht habe."
Carmen Rinnhofer aus Langenwang
"Gleichzeitig schmerzen meine Muskeln und Gelenke, auch ohne Belastung. Selbst das Nachdenken fällt mir schwer: Mein Kopf fühlt sich wie in Nebel gehüllt, und ich kann mich oft nicht an Gespräche oder Informationen erinnern."
"Mittlerweile sind die Vormittage etwas kurzweiliger, da mich mein Papa besuchen kommen und mir ein bis zwei kurze Geschichte 'von draußen' erzählen kann. Nach zehn Minuten muss er wieder fahren, da längerer Besuch und Gespräche eine enorme Belastung darstellen. Das Mittagessen verläuft gleich wie das Frühstück – im Bett, mit anschließender, langer Erholungsphase."
"Nachmittags geht es mir meistens am schlechtesten. Mein Körper fühlt sich dann an, als hätte ich eine schwere Grippe – Übelkeit, Muskelschmerzen und dieses diffuse Krankheitsgefühl, das alles durchdringt. Zusätzlich kommt ein brennendes Gefühl in den Gliedern dazu, als würde Säure durch meinen Körper rinnen."
In guten Momenten habe ich manchmal genug Kraft, um mit meinen Freundinnen und Freunde per WhatsApp zu kommunizieren. Aber selbst das ist oft anstrengend und muss gut dosiert werden. Telefonieren ist jedoch unmöglich – das Sprechen, Zuhören und Verarbeiten überfordert mich völlig und bringt meinen Zustand schnell ins Wanken."
Carmen Rinnhofer aus Langenwang
"An besseren Tagen, die selten sind, kann ich mithilfe meiner Mama ein Bad nehmen. Alle vier bis acht Wochen Wochen wäscht sie mir die Haare. Gegen 22 Uhr schlafe ich meistens ein. Viel aufregender sehen meine Tage nicht aus."
- Warum hast du dich entschieden, mit deiner Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen?
"Das Leben von ME/CFS-Betroffenen ist geprägt von Unsichtbarkeit, Missverständnissen und einem oft schmerzhaften Schweigen. Viele Menschen wissen nicht, was diese Krankheit bedeutet – wie sehr sie uns einschränkt, wie wenig Unterstützung es gibt und wie stiefmütterlich mit den Betroffenen umgegangen wird."
"Indem ich meine Geschichte teile, hoffe ich, Verständnis und Empathie zu schaffen, aber auch Veränderung anzustoßen: mehr Forschung, mehr Aufklärung und letztlich mehr Unterstützung für uns alle. Die Öffentlichkeit muss von unserer Situation erfahren. Die Betroffenen müssen gesehen werden."
- Hast du Leute kennengelernt, die ebenfalls diese Krankheit haben?
"Ja, viele. Alle teilen das gleiche Schicksal – ihr Alltag ist von Dunkelheit, Isolation, schwerem körperlichen Leid, behördlicher Schikane und fehlender medizinischer sowie finanzieller Unterstützung bestimmt. Im Gedächtnis bleiben einem vor allem die schwer und schwerst Betroffenen."
"Viele liegen seit Jahren regungslos in ihren Betten; jede Bewegung, Lichtquelle oder Berührung führt zu weiterer Verschlechterung. Viele können nicht mehr sprechen; einige müssen über Magensonden ernährt werden, weil ihr Körper feste Nahrung nicht mehr verträgt oder die Kraft zum Kauen und Schlucken fehlt. Andere wählen Suizid, der zu den häufigsten Todesursachen bei ME/CFS gehört."
- Wie sah dein Leben vor deiner Erkrankung aus?
"Vor meiner Erkrankung habe ich studiert und stand kurz vor der Abgabe meiner Masterarbeit. Ich habe viel Zeit mit meinen Freundinnen verbracht und gerne Sport gemacht. Samstags habe ich gearbeitet und stand hinter der Bar in einem Club. Zeit im Freien zu verbringen, war mir ebenfalls sehr wichtig."
- Was waren deine Pläne?
"Ich wollte im Klimajournalismus arbeiten oder für eine gewisse Zeit ins Ausland ziehen."
- Wie kann es weitergehen?
"Die Auseinandersetzung mit dieser Frage versuche ich bestmöglich zu verdrängen. Ohne massive Investitionen in Versorgungsstrukturen und Forschung – die aktuell von öffentlicher Seite nicht getätigt werden – wird sich an meinem Zustand nichts ändern."
Hier kannst du die Spendenaktion von Carmen Rinnhofer unterstützen!
Link zur "We&Me Foundation" der Familie Ströck
Am 4. Dezember 2024 gab es in ORF 1 eine Dokumentation über MECFS:
https://on.orf.at/video/14253831/dok-1-viel-leid-wenig-hilfe-die-krankheit-mecfsWeitere Informationen zu ME/CFS findest du auch hier!
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