"Krisenversicherung für den Ernstfall"
Oberösterreichs größte Genbank befindet sich in Linz-Oed. Hier werden Samen verschiedenster Kulturpflanzen gelagert.
Wolfgang Kainz ist Hüter eines kostbaren Schatzes. Er betreut die Genbank in Linz. In einem eisigen Keller lagern die Samenmuster (Akzessionen). Insgesamt umfasst die Genbank der AGES Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit in Linz-Oed inzwischen knapp 4500 Muster. Das achtköpfige Team, bestehend aus Biologen, Chemikern und Botanikern, betreut Österreichs größte Sammlung für Getreide, Bohnen, Heil- und Wildkräuter. "Es handelt sich dabei um eine Krisenversicherung von der man hofft, dass man sie nie braucht", sagt Genbank-Kurator Wolfgang Kainz.
Reise in die Vergangenheit
Bei starken Klimaveränderungen, Naturkatastrophen oder Kriegsfällen kann die Genbank zu einer Lebensversicherung für künftige Generationen werden. "Getrocknet und eingefroren bleiben die Samen hoch keimfähig und können ohne Probleme 50 bis 60 Jahre überdauern. Pflanzt man sie dann wieder an, kann man quasi 50 Jahre zurückgehen – als hätte es alle Umwelteinflüsse in der Zwischenzeit nie gegeben", weiß Kainz. Die AGES-Mitarbeiter in Linz sorgen dafür, dass das Erbmaterial sortenrein und sauber erhalten bleibt. Die Sammlung umfasst viele alte Landsorten, die schon seit Jahrzehnten nicht mehr angebaut werden, aber auch neue Züchtungen. "Werden neue Sorten entwickelt, kommen alte vom Markt. Diese erhalten wir automatisch", erklärt Kainz. Das Team reinigt die Samen von Verunreinigungen und prüft die Keimfähigkeit. Anschließend werden sie getrocknet, in Gläser gefüllt und akribisch beschriftet.
Bewahren und Forschen
Ein Teil kommt bei minus 20 Grad in den Tiefkühler, der Großteil wird bei 15 Grad Kellertemperatur aufbewahrt. "Nach 15 Jahren wird das Saatgut vermehrt und wieder eingelagert", so der AGES-Mitarbeiter. In der Heil- und Gewürzkräutersammlung findet sich sogar eine mittlerweile ausgestorbene Pflanze – der "Deutsche Bertram". "Davon gibt es nur zwei Akzessionen in ganz Europa." Die Genbank unterstützt außerdem die Naturschutzabteilung des Landes OÖ, die gefährdete Wildpflanzen sammelt. In Linz werden diese Samen wenn notwendig vermehrt und eingelagert.
Für wissenschaftliche Zwecke werden verschiedenste Samenmuster kostenlos abgegeben. "Unsere Hauptabnehmer sind die Universität für Bodenkultur, Züchterorganisationen aber auch Firmen."
Wichtige Sicherheitskopie
Die Bedeutung einer Genbank wurde lange nicht erkannt. "Niemand verstand, wozu man das ,alte Klumpert’ brauchen könnte. Schließlich bringen viele der alten Sorten ein Drittel weniger Ertrag", so Kainz. Wie wichtig der Erhalt des wertvollen landwirtschaftlichen Kulturguts dennoch ist, erklärt der Genbank-Kurator an zwei Beispielen: "Werden Pflanzen weniger angebaut, geht das Wissen verloren. Das sieht man am Beispiel des Mohns, der traditionell im Waldviertel angebaut wurde. Über die Jahre wurde der Anbau immer weniger. Als man dann im Mühlviertel plante, einen Teil des Getreides durch Mohn zu ersetzen, war das gar nicht so einfach, weil kaum mehr Know-how da war. Man wusste einfach nicht mehr, wie man den Mohn pflegt. In den 90ern wagte man einen neuen Anlauf im Zentralraum. In St. Florian gab es interessierte Bauern, die rasch ein großes Know-how entwickelten. Heute werden wieder mehr als 1000 Hektar Mohn angebaut." Zudem fungiert Linz seit vielen Jahren als Sicherheitslager für die Bohnensammlung der syrischen Stadt Aleppo. "Wenn dort einmal Frieden einkehrt, wird man mit Sicherheit auf uns zukommen." Die eingelagerten Samen werden dann zum Wiederaufbau der Landwirtschaft in Syrien beitragen.
Auch für die in Linz gelagerten Samen gibt es eine "Sicherheitskopie". Das Team arbeitet derzeit daran, weitere Kopien der Bestände nach und nach zum Svalbard Global Seed Vault zu transferieren. Dabei handelt es sich um einen riesigen Tresor für landwirtschaftliche Kulturpflanzen auf der Insel Spitzbergen in Norwegen. Samen aus allen Regionen der Welt werden dort eingelagert. Mehr als 800.000 Muster befinden sich in dem ehemaligen Kohlebergwerk – darunter bereits rund zwei Drittel der Linzer Bestände.
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