Stadtgeschichte
Als die Spanische Grippe einst auch Linz heimsuchte
Walter Schuster ist Archivar, Historiker und Direktor des Archivs der Stadt Linz. Wir haben mit ihm über die Spanische Grippe gesprochen, die 1918 auch Linz heimgesucht hat.
Die letzte große Pandemie vor Corona war die Spanische Grippe vor rund 100 Jahren. Wie hat sie Linz getroffen?
Sie hat tatsächlich die gesamte Bevölkerung betroffen. Noch im Juli 1918 haben Linzer Zeitungen gemeldet, dass diese spanische Krankheit, wie man sie genannt hat, eine relativ harmlose Krankheit ist, von der man sich relativ rasch erholt. Im Oktober sind die Fälle in Linz dann exponentiell angewachsen. Da hat man die Problematik erkannt. Es hat in Linz relativ viele Todesfälle gegeben. Im letzten Quartal 1918 sind laut den Daten des Gesundheitsamtes 226 von insgesamt 1.003 Todesfällen der Spanischen Grippe zuzurechnen. Das ergibt einen Anteil von etwa 22,5 Prozent, fast ein Viertel aller Todesfälle.
"Tuberkulose war ein ständiges Thema"
Was waren andere Todesursachen zu dieser Zeit?
Vor und während des Krieges war die häufigste Todesursache eine andere Infektionskrankheit, nämlich die Tuberkulose, gegen die es ja auch kein wirkliches Medikament gab und keine Impfung. Die Tuberkulose war im Schnitt für 15 bis 22 Prozent der Todesfälle verantwortlich. Während die Spanische Grippe vor allem im letzten Quartal 1918 gewütet hat, war die Tuberkulose vor, während und auch nach dem Ersten Weltkrieg ein ständiges Thema.
Die Corona-Pandemie beherrscht die mediale Berichterstattung. Wie war das damals mit der Spanischen Grippe?
Damals haben andere politische Verhältnisse geherrscht, es hat während des Krieges eine Zensur gegeben, die noch bis Ende Oktober 1918 aufrecht war. Vor allem war das aber eine Zeit der gigantischen politischen Umwälzungen. In Österreich war das der Übergang von der Monarchie zur Demokratie, vom großen Vielvölkerreich zur relativ kleinen Republik. Es hat daher auch verstärkt Menschenansammlungen gegeben, also genau das, was bei Ansteckungskrankheiten nicht zu empfehlen ist.
"Man wurde von der Spanischen Grippe überrascht"
Was hat man damals über die Krankheit gewusst?
Das Problem war, dass man den Erreger nicht identifizieren konnte. Man war damals medizinisch noch nicht so weit, um Viren erkennen zu können. Zwar kannte man die normale Grippe schon seit Langem. Da diese in der Regel nicht zum Tod führt, war man von der Spanischen Grippe überrascht, die vielfach mit einer tödlichen Lungenentzündung geendet hat. Zu den 22,5 Prozent Grippetoten müsste man deshalb noch die 10,3 Prozent dazurechnen, die an Lungenentzündung gestorben sind.
Gab es in Linz prominente Opfer?
Landeshauptmann Johann Nepomuk Hauser ist an der Spanischen Grippe erkrankt, die aber keinen schweren Verlauf genommen hat. Es war nur heikel, weil er der führende christlich-soziale Politiker bei den Verhandlungen in Wien zu den politischen Umwälzungen war und tagelang ausgefallen ist.
Was konnten die Behörden und das Gesundheitswesen damals tun?
Am 8. Oktober 1918 sind alle Schulen bis 17. Oktober gesperrt worden. Man hat die Schüler dann wieder einberufen, was durchaus problematischer war als heute, weil diese mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereist sind und die Züge damals furchtbar überfüllt waren. Das ist auch sehr kritisiert worden. Man musste die Schulsperre dann auch verlängern, vorerst bis Ende Oktober und schließlich bis 10. November.
Schulen, Kinos, Theater und Konzertsäle waren zu
Hat es weitere Einschränkungen gegeben?
Parallel zu den Schulen hat man auch die Kinos, das Landestheater und die Konzertsäle geschlossen. Im sozialdemokratischen Tagblatt ist sogar eine Sperre der Kirchen diskutiert worden. Eine große Frage war die Schließung des Bahnhofs. Damals haben die öffentlichen Verkehrsmittel eine viel größere Rolle gespielt als heute.
Was war mit der Gastronomie?
Gaststätten sind offen geblieben. Es wurde allerdings geraten, mehr zu lüften, sein eigenes Geschirr mitzubringen und verstärkte Hygienemaßnahmen umzusetzen.
Hat es die heute üblichen Hygienemaßnahmen gegeben?
Es hat einzelne ärztliche Stimmen gegeben, die gesagt haben, man soll Menschenansammlungen und Händeschütteln meiden. Aber das war in dieser politisch so turbulenten Zeit, wo es um Grund- und Freiheitsrechte gegangen ist, um die Änderung der Staatsform, um Demokratie, in der Praxis nur sehr bedingt zu realisieren.
Was war mit Mund-Nasen-Schutz?
Dazu habe ich in den Quellen nichts gefunden. Das war offenbar überhaupt kein Thema.
Gab es Kritik am Umgang mit der Pandemie?
Es hat auch damals Kritik an den Behörden gegeben, die aufgrund der Zensur aber sehr schaumgebremst war. Die Maßnahmen wurden schon diskutiert.
Warum gibt es wenig bis gar kein Bildmaterial?
Es gibt überhaupt sehr wenige Fotos aus dieser Zeit. Die Bildberichterstattung war damals noch in den Kinderschuhen, weil die Zeitungen keine Fotos gebracht haben. Auch die öffentlichen Verwaltungen hatten kein Budget, weil das in der Öffentlichkeitsarbeit noch eine geringe Rolle gespielt hat.
"Der Tod war damals viel präsenter"
Wie ist die Spanische Grippe den Linzern im Gedächtnis geblieben?
Die Spanische Grippe war ein Thema von vielen. Die Zeitgenossen haben sie zwar als Pandemie wahrgenommen, aber es hat viele ansteckende Krankheiten mit Todesfolge gegeben. Die Menschen haben damals gelernt, mit solchen Krankheiten zu leben. Noch dazu hat es durch den Ersten Weltkrieg extreme Mangelerscheinungen gegeben und natürlich die vielen Opfer an der Front. Der Tod war damals viel präsenter als er heute ist. Interessanterweise spielt die Spanische Grippe auch in der Erinnerung von Zeitgenossen keine so große Rolle. Sie ist eher ein Forschungsthema, das seit zehn, vielleicht zwanzig Jahren populär geworden ist.
Heute erleben wir wieder eine Pandemie. Welche Aufgabe hat das Stadtarchiv in der aktuellen Corona-Krise?
Wir haben die Aufgaben, die wir auch sonst haben. Wir sind ja nicht nur eine Serviceeinrichtung für die historische Forschung, sondern haben auch behördliche Unterlagen, die für Menschen immer von realer Bedeutung sind, etwa Auskünfte aus alten Meldekarteien oder über Kirchenaustritte. Diese Bedürfnisse der Menschen, sich gegenüber Behörden zu legitimieren, gibt es auch während der Pandemie. Oder Bauvorhaben, die vorbereitet gehören. Darum hat das Archiv auch während des ersten Lockdowns eine Notbesatzung gehabt, die schriftlich solche dringenden Anfragen beantwortet hat.
"Es ist unsere Aufgabe, das Zeitgeschehen zu dokumentieren"
Kommen jetzt neue Dokumente dazu?
Eine unserer Aufgaben besteht darin, das Zeitgeschehen zu dokumentieren. Da ist diese Corona-Pandemie etwas ganz Besonderes, das sich nicht nur auf die Stadtverwaltung, sondern auch auf das öffentliche Leben in Linz gravierend auswirkt. Wir erheben die Zahlen, die frei zugänglich sind für Linz und sammeln diese für die Nachwelt. Wir haben uns auch bemüht, schon sehr frühzeitig Unterlagen des Krisenstabes der Stadt Linz für die Archivierung vorzubereiten, damit das nicht verloren geht. Und wir dokumentieren im Rahmen unserer Möglichkeiten das geänderte öffentliche Leben, wie das Tragen von Mund-Nasen-Schutz in den Straßenbahnen, den Geschäften, diverse Beschriftungen, die auf die Verpflichtung zum MNS hinweisen, aber auch, dass der Gemeinderat im Festsaal des Neuen Rathauses zusammenkommt.
Wie ist Ihr Arbeitsalltag im Archiv von Corona betroffen?
Während des zweiten Lockdowns ist der Lesesaal aufgrund der letzten Verordnung der Bundesregierung geschlossen, aber das Archiv arbeitet voll weiter. Natürlich erfolgt mehr digital. Es sind sicherlich übers Jahr gerechnet viel weniger Benützer vor Ort gewesen, aber um circa zehn Prozent mehr schriftliche Anfragen an uns gekommen.
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