Russland: Mythen, Trauer und ein Spaziergang
Die Kälte beim Wolkenturm entspricht dem Programm: Russisch bis aufs Mark. Der Dirigent Juri Chatujewitsch Temirkanow, das Orchester - die St. Petersburger Philharmoniker - der Solist Nikolai Lwowitsch Luganski, und das Programm von Nikolai Rimski-Korsakow, Sergej Prokofjew und Modest Mussorgsky – sorgen jedoch für ein wenig Feuer. Im Ofen lodern ein paar Flammen für die kleine Wärmestube. Die Männer hüllen ihre Begleitung in noch dickere Umhänge. Manche nehmen die Gelegenheit wahr, sich enger an ihren Begleiter zu schmiegen. Ein tolles Stilgemälde. Neben mir sitzt eine Frau, die sich alles verbeten hat, was den Wärmehaushalt betrifft. Sie ist von Kopf bis Fuß Selbstversorger. Grad noch, dass sie sich auf einen G'spritzten einladen lässt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Die Suite aus der Oper „Die Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch und die Jungfrau Fewronia“ ist der Ausgangspunkt für den russischen Einstand. Eine verwirrende Geschichte, ein Mysterienspiel mit magischer Fantasie. Mehr will und kann ich ihnen nicht berichten. Die Musik erzählt von einem Hochzeitszug, von einem Überfall der Tataren, einer Schlacht und dem Lob der Wildnis. Man muss sehr aufpassen, um dem Opernauszug folgen zu können. Es ist ein Auf und Ab der Gefühle. Man könnte sagen, es ist ein kontemplativer Lokalaugenschein.
Trauer klingt bei Prokofjews „Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3“ durch. 1917 kam es zum Umbruch in Russland. Prokofjew musste - so wie viele andere Künstler - seine geliebte Heimat verlassen. Danach halten sich seine Erfolge in Grenzen. Man kann nachvollziehen, was den Komponisten bewegt. Depression, Hoffnung, Rückkehr – die Musik spiegelt den Gemütszustand wider. Mal himmelhoch jauchzend, mit hellen befreienden Tönen, dann zu Tode betrübt mit tiefen, dumpfen Passagen. Es gibt kaum ein Werk, in dem man ohne ins Programmheft zu blicken die Beweggründe Prokofjews erahnen kann. Hier ist auf den genialen Auftritt des Pianisten Luganski hinzuweisen. Er ist die Hauptfigur des Werkes, spielt traumwandlerisch seinen Part, und das Orchester folgt ihm mit leidenschaftlicher Begleitung.
Modest Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ (Instrumentierung: Maurice Ravel) ist ein Selbstläufer. Dirigent Temirkanow setzt einige schöne Aspekte. Satte Klangfarben und das lustvolle Spiel der Petersburger tragen zum Triumph des Abends bei.
Mit der Zugabe aus dem Ballett „Cinderella“ von Prokofjew klingt die Veranstaltung aus. Eine kleine, zarte Musikepisode, die sich von den zum Teil erdrückenden Tönen des Vorprogramms abhebt. Es ist ein musikalischer Gruß an die Heimfahrenden.
Next: Das Dvořák-Programm präsentiert die Tschechische Philharmonie unter Tomáš Netopil. Solist ist Truls Mørk am Cello am 25.8. um 19:30.
Infos und Tickets: www.grafenegg.com
Reinhard Hübl
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