Holocaust-Gedenktag
"Viele vergessen, dass es Menschen waren"
Am 27. Jänner 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von der sowjetischen Armee befreit – symbolisch endete damit der Zweite Weltkrieg und die "Endlösung" des nationalsozialistischen Regimes. Seither wird alljährlich der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust begangen.
GRAZ-UMGEBUNG. Straßennamen, Gedenktafeln, Mahnmale und sogenannte Stolpersteine: Auch in Graz-Umgebung Nord gibt es Orte, an denen die Nationalsozialisten Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübten – und es gibt Orte, die daran erinnern. Drei davon wollen wir euch vorstellen.
Stolpersteine in Frohnleiten
Insgesamt acht Stolpersteine – davon sechs am Hauptplatz 45 und zwei in der Dr. Ammannstraße 7 – sind in der Stadtgemeinde Frohnleiten in den letzten beiden Jahren verlegt worden. Sie sind dort zu sehen, wo einst Juden und Jüdinnen gewohnt und gearbeitet haben, aufgrund ihres "Jüdisch-Seins" von den Nazis und der "Rassenideologie" aber verfolgt und vertrieben wurden: Dora und Anna Kalmus und die Kaufmannsfamilie Weinberger.
Historikerin Edda Engelke, die die Erinnerungskultur nicht nur in Frohnleiten, sondern in Zusammenarbeit mit anderen steiermark- und österreichweit aufrechterhält, erklärt: "Gedenken ist heute noch wichtig, weil viele Menschen vergessen. Sie vergessen, was passiert ist, und dass es Menschen waren, denen es passiert ist. Man muss Gedenken und Erinnern lokal herunterbrechen, denn es ist nicht nur in Auschwitz geschehen, sondern direkt vor unserer Haustür." Zeitzeugen werden immer weniger und nicht jeder will überhaupt über den Holocaust, seine Anfänge und seine Folgen sprechen. Umso wichtiger ist es, Zeichen zu setzen.
"Erinnerungskultur ist eine Form, um ins persönliche Gespräch zu kommen. Damit können Menschen auch nachvollziehen, wer diejenigen waren, denen gedacht wird. Es waren zum Beispiel Nachbarn. Bei Anna und Dora Kallmus waren es die 'Damen mit dem den Hündchen', die 'Damen, die zum Krapfen essen eingeladen haben'."
Die Stolpersteine – die immerhin den Zweck erfüllen sollen, darüber "zu stolpern", also stehen zu bleiben und auf das, was dort geschrieben steht, aufmerksam zu werden – sind deshalb ein besonders Zeichen der Erinnerungskultur, weil, so Engelke, "man nicht einfach daran vorbeigehen kann".
KZ-Außenlager in Peggau
Durch die Ausweitung der Rüstungsproduktion waren immer mehr Menschen zur Zwangsarbeit verpflichtet, und durch vermehrte Bombenangriffe ging das Nazi-Regime dazu über, Arbeiten in unterirdischen Stollenanlagen durchzuführen. Hier, in Peggau, entstanden unter anderem Flugzeug- und Panzerteile für das Rüstungsunternehmen Steyr-Daimler-Puch AG. "Marmor" lautete der Deckname des KZ-Außenlagers in Hinterberg in der Marktgemeinde, das Teil des Konzentrationslagers Mauthausen war. Am ersten Tag, als es errichtet wurde, am 17. August 1944, kam bereits der erste Transport mit 400 Häftlingen an.
Bis zu 800 Häftlinge gleichzeitig haben hier in Tages- und Nachtschichten unter widrigsten Bedingungen arbeiten müssen, sie kamen mitunter aus Mauthausen und dem Außenlager Leibnitz-Graz oder waren politische Gefangene und Verfolgte aus Jugoslawien, Polen, Italien oder der Sowjetunion. Rund zwei Kilometer waren die Stollenanlagen von den bis zu 20 errichteten Holzbaracken, wo die Häftlinge untergebracht wurden, entfernt.
Wie auch bei den Zusatztafeln von Straßennamen, die Peggau im März 2021 installiert hat, um etwas über die eigene Geschichte zu erfahren, ist die Erinnerungskultur rund um das KZ-Außenlager für Bürgermeister Hannes Tieber wichtig. "Aber es wird immer schwieriger", sagt er. "Es sind noch hauptsächlich Schüler-Gruppen, die den Ort regelmäßig aufsuchen und darüber mehr erfahren wollen. Aber das ist nun einmal der Lauf der Geschichte. Das ist Vergangenheit."
"Hier ruhen 82 Tote 1944 – 1945. Man kennt nicht ihre Namen, nicht ihre Heimat. Wir wissen nur: Sie haben namenloses erlitten, Sie waren aus dem Konzentrationslager Mauthausen gekommen. Gedenket Ihrer in Ehrfurcht, schaudert vor dem Entsetzlichen, das Menschen einander antun. Sät in die Herzen eurer Kinder die Saat einer besseren Zukunft. Möge dieser Gedenkstein kommende Generationen mahnen, dass nicht Hass, sondern Liebe, nicht Unrecht, sondern Gerechtigkeit, nicht Schwäche, sondern edler Charakter die ewigen Fundamente einer gesitteten Menschheit sind",
steht auf dem Gedenkstein vor Ort, der 1955 durch die Initiative der Gemeinde Peggau in Zusammenarbeit mit dem KZ-Verband enthüllt wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren die Namen der Häftlinge noch nicht bekannt. 2005 kamen ergänzende Tafeln hinzu.
Todesmarsch durch Gratkorn
Am 4. April 2016 fand in Gratkorn die offizielle Enthüllung eines Gedenksteins vor dem Gemeindeamt statt. In Anwesenheit der damaligen Botschafterin des Staates Israel, Talya Lador-Fresher, des damaligen Oberrabbiners der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Paul Chaim Eisenberg, oder des Historikers Karl Albrecht Kubinzky wurde das Mahnmal "Zum Gedenken an die in Eggenfeld und in der Dult im April 1945 ermordeten ungarischen Juden" enthüllt. Am 4. April 1945 nämlich waren drei Kolonnen mit rund 8.000 ungarischen Juden und Jüdinnen von Graz in Richtung Bruck an der Mur unterwegs – sie alle waren Zwangsarbeiter aus Auffanglagern in Graz, etwa Liebenau oder Eggenberg.
Aufgrund des raschen Vormarsches der Roten Armee waren auch diese Juden und Jüdinnen unterwegs auf sogenannten Todesmärschen, die unter anderem in Konzentrations- und Vernichtungslagern führten. Zwangsarbeiter aus dem Lager Andritz umgingen Graz und wurden über den Oberschöckl und St. Radegund nach Frohnleiten gebracht.
Im Ortsteil Dult sind einige der Juden und Jüdinnen der Kolonne entkommen, von Soldaten der Waffen-SS-Division "Wiking" aber hingerichtet worden, nachdem sie versuchten, sich zu verstecken und bei Anrainer:innen um Nahrung bettelten. Die Kolonne setzte danach den Weg fort.
Initiiert wurde die Gedenkstätte vom Gratkorner Maximilian Tonsern, der zusammen mit dem Menschenrechtspreisträger Manfred Oswald und dem bereits verstorbenen Historiker Herwig Brandstetter ein Aktionskomitee gründete.
"Mit dem Gedenkstein übernimmt die Marktgemeinde Gratkorn eine wertvolle Vorreiterrolle in der Gedenkkultur. Die Gedenkveranstaltung soll ein deutliches Zeichen gegen Vergessen und für das Erinnern und Mahnen an die Zeit des Nationalsozialismus in Österreich sein", betonte Tonsern damals.
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