Wirte, die wie Bäcker denken
Niederösterreich wird älter und weniger mobil. Welche Auswirkungen das auf die Nahversorgung haben kann, hat Zukunftsforscherin und Wahl-Waldviertlerin Hanni Rützler skizziert.
NÖ. Bekleidung und Tierfutter sind derzeit die Online-Shop-Renner. Bei frischen Lebensmitteln sind nicht nur die Niederösterreicher zögerlich. Auch angesichts der demographischen Entwicklung heißt es künftig umdenken, wenn Nahversorgung auch weiterhin ihren Namen verdienen will.
Weg vom klassischen Point-of-Sale
Das Internet könnte eine Zukunftschance für kleine Greißler sein, meint etwa die Zukunftsforscherin Hanni Rützler: "Das kann wie in den 50er und 60er Jahren ausschauen, als der Bäcker von Haus zu Haus fuhr – aber neu und anders organisiert. Und da bietet sich das Internet an. Die Beteiligten müssen dafür sehr offensiv versuchen, gemeinsame regionale Netzwerke zu schaffen und Interessen zu bündeln."
Weniger Esser, kleinere Mengen
Ein anderes Szenario für den bäuerlichen Raum ist die Neuorganisation von Märkten: "Gemüsekisten, die zugestellt werden, gehen in diese Richtung, aber das derzeitige Angebot passt nicht mehr für alle Bedürfnisse: Wir haben vermehrt Ein- und Zwei-Personen-Haushalte, viele ältere Menschen. Da wird nicht mehr für eine Großfamilie gekocht, entsprechend werden kleinere Mengen benötigt und auch ein höherer Conveniencegrad." Eine Möglichkeit, das logistisch zu lösen, sieht Rützler zum Beispiel in Kombination mit anderen Problemfeldern, etwa der hohen Jugendarbeitslosigkeit. Die derzeitige Struktur am Land sei sehr auf Pendler und Menschen mit eigenem Auto angepasst: "Das entspricht der jetzigen Logik, aber ist noch nicht zukunftstauglich."
Über Branchengrenzen denken
Ein drittes Szenario als Lösung zur Sicherung der Nahversorgung malt die Foodtrend-Expertin für die Gastronomie: "NÖ hat eine ausgeprägte Wirtshauskultur. Was spricht dagegen, wenn die Wirte ihr Kerngeschäft erweitern und zum Beispiel auch frische Lebensmittel anbieten?" A und O sei das Denken über klassische Branchengrenzen hinaus hin zu den Bedürfnissen: Dazu gehört auch der Fakt, dass immer weniger Unter-40-Jährige kochen könnten und beim Einkaufen eine Vielzahl an Rezepten parat haben. Auch auf diese Phänomen könnte der Einzelhandel serviceorientiert reagieren – wie dies zum Beispiel in Deutschland mit "begehbaren Rezeptbüchern", den Kochhäusern, versucht wird.
ZUR SACHE
Fast jede fünfte Gemeinde in NÖ ist ohne Nahversorger
In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Gemeinden ohne Nahversorger im Bundesland vervielfacht. 17,7 Prozent aller Orte haben derzeit keinen Vollsortimenter mehr, 1999 waren es nur 4,5 Prozent. Das ergab eine aktuelle RegioData-Studie. Die Anzahl der Gemeinden in Niederösterreich, die nicht einmal einen Teilsortimenter, also Bäcker, Fleischer oder Tankstellenshop, haben, steigt ebenso beständig: 1999 waren dies 3 Prozent aller Gemeinden, heuer 9,4 Prozent.
Nahversorger als sozialer Treffpunkt
Niederösterreicherinnen sehen im Einkauf beim Nahversorger auch die Gelegenheit zum sozialen Kontakt – das ergab eine Studie von MAKAM Market Research. 91 Prozent nutzen die Gelegenheit, um mit anderen zu plaudern, 81 wollen Neuigkeiten und Informationen austauschen. Gefragt sind Nahversorgungsbetriebe, die das Angebot mit branchenfremden Elementen ergänzen. Auf große Zustimmung stoßen dabei Postpartner oder Paketservice (55 Prozent), Putzerei (39 Prozent) und Kaffeeecke (38 Prozent) sowie Tabak-Trafik (36 Prozent).
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