"UniBrennt"
Hörsaal-Besetzungen in Wien jähren sich zum 15. Mal
15 Jahre ist es her, seit die Hörsäle der Wiener Universitäten und weiterer in ganz Österreich von Studierenden wochenlang besetzt wurden. Das Aufsehen war damals groß und führte zu einer breiten Solidarisierungswelle.
WIEN. Das Windersemester ist gerade schon voll im Gange und wieder einmal gilt es so viele "European Credit Transfer and Accumulation System"-Punkte, kurz ECTS, für tausende Studierende zu sammeln. Das System, welches dahintersteckt, soll eine Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit von Studiengängen und -abschlüssen in der EU möglich machen.
Das Prinzip, für welches sich 29 EU-Mitgliedsstaaten in Bologna verpflichtet haben – daher auch kurz "Bologna-System" – wirkt auf den ersten Blick logisch und simpel. Zur Erreichung eines angestrebten akademischen Grades müssen gewisse ECTS-Punkte gesammelt werden. Positiv absolvierte Lehrveranstaltungen, Arbeiten oder Projekte haben eine gewisse Punkteanzahl, die man so im Laufe einer akademischen Laufbahn sammelt.
Gar nicht gepasst hat die Einführung der neuen Regelungen jedoch den heimischen Studierenden vor 15 Jahren. Sie riefen aus dem Grund zur Besetzung der Hörsäle auf. Und das unter zahlreicher Begleitung von medialer Berichterstattung. Alles nahm seinen Ausgang in der Aula der Akademie der bildenden Künste Wien am 20. Oktober 2009. Nach einer Solidaritäts-Demo zwei Tage später wurde auch spontan das Audimax der Uni Wien, der größte Hörsaal Österreichs, besetzt. Es war der Ausgangspunkt einer Besetzungswelle, die Hochschulen im gesamten Land und später aber auch in Deutschland betreffen sollte.
Vieles hat nicht gepasst
Es wäre zu verkürzt zu sagen, dass nur das Sammeln von ECTS-Punkten den Studierenden damals sauer aufstieß. Mit der Bologna-Reform sollten auch die alten Diplomstudien auf Bachelor- und Master-Systeme umgestellt werden. Mit dem neuen System kamen auch neue bzw. adaptierte Studienpläne, worin man eine Einschneidung in die Wahlfreiheit sah. Außerdem waren die Zugangsbeschränkungen in gewissen Massenstudien ein Dorn im Fleisch der Studierenden.
Gleichzeitig sah man eine Entwicklung der letzten Jahre, dass die universitäre Bildung nicht mehr im klassischen akademischen Sinne verläuft, sondern vielmehr eine "Ausbildung für den Job" sei. Aber auch altbekannte Probleme, wie eine Unterfinanzierung der Unis, spielten beim Groll der Studierenden eine Rolle.
Erste Besetzungen der Hörsäle
Die Bewegung breitete sich rasend schnell aus. So wurde am 23. Oktober bereits die Vorklinik der Universität Graz von rund 50 Studierenden besetzt. Am 27. Oktober folgte der Hörsaal C1 am Uni-Campus Wien, der zweitgrößte Hörsaal der Universität. Auch der Hörsaal 1 im Freihaus der Technischen Universität (TU) Wien wurde besetzt. Weiters wurden an diesem Tag die Aula der Universität Klagenfurt sowie der Hörsaal 1 der Universität Linz in Beschlag genommen. Zu Novemberbeginn sahen sich immer mehr Universitäten in ganz Österreich einer – zeitweisen wie dauerhaften – Besetzung ausgesetzt.
Das Audimax in Wien sollte jedoch immer Dreh- und Angelpunkt der Bewegung bleiben. Innerhalb weniger Stunden nach dem spontanen Ausruf der Besetzung füllte sich der Hörsaal mit Studierenden. Es wurde sogar in kurzer Zeit eine nötige Protest-Infrastruktur eingerichtet, etwa ein Pressezentrum oder eine Art Küche.
Ein eigenes Plenum und untergeordnete Arbeitsgruppen wurden organisiert, in denen die Studierenden basisdemokratisch ihre Anliegen formulierten. Immer mehr kristallisierte sich heraus, dass diese Protestbewegung von längerer Dauer sein wird.
Viele Sympathisanten
Die Uni-Besetzung war auch zum Teil eine Sternstunde für bis heute bekannte Gesichter. Wie der "Standard" in einem Rückblick berichtet, kritisierte etwa die heutige Grünen-Politikerin Sigrid Maurer als damalige ÖH-Vorsitzende den "neoliberalen Umsturz des Bildungssystems". Die Bewegung erhielt jedoch auch Zuspruch abseits der universitären Kreise.
Dazu zählten etwa der Schriftsteller Robert Menasse genauso wie der österreichische Autor Klaus Werner-Lobo. Auch die Filmemacherin Ruth Beckermann und André Heller solidarisierten sich. Kabarettisten wie die Gruppe Maschek, Josef Hader und Florian Scheuba hatten Gastauftritte im Audimax. Aus der Politik gab es Unterstützung vom Schweizer Soziologen, Politiker und ehemaligen UNS-Sonderberichterstatter Jean Ziegler sowie Peter Pilz (damals Grüne).
Auch aus der Bevölkerung gab es Verständnis für die Forderungen und daher Sympathiebekundungen. Die Studierenden solidarisierten sich aber auch im umgekehrten Sinne mit der Bevölkerung. So protestierten Studierende der TU Wien beispielsweise zusammen mit den Metallern während der Lohnverhandlungen.
Anweisung und Auflösung
Die Monate zogen ins Land und die Besetzungen gingen weiter. Inzwischen wurden nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland Forderungen gestellt. Auch dort machten sich Besetzungen breit.
Mit Ausnahme der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien wurden Hörsäle an vier der fünf größten Universitäten Österreichs besetzt, allen voran der Uni Wien. Längst ging es um mehr als nur das Auflehnen der Studierenden. So wurden, je weiter die Temperaturen sanken, auch immer wieder Obdachlose in den besetzen Hörsälen aufgenommen und von Besetzern versorgt.
Am 21. Dezember, dem 61. Tag des Protests, wurde das Audimax auf Geheiß des Rektorats der Uni Wien geräumt. Auch die Polizei war dabei anwesend. Wie etwa "Standard" damals berichtete, wurden Besetzer und Obdachlose "herausgebeten" – etwa 400 Teilnehmende begleiteten den Auszug aus dem Audimax mit Protest.
Lokale Erfolge, dennoch kam Bologna
Selbst nach der Räumung des Audimax der Uni Wien kam es noch zu Besetzungen, über das restliche erste Halbjahr 2010 verteilt. Diese waren jedoch weit kleiner, spontaner und ließen sich – nach abermaliger Aufforderung zum Verlassen der Räumlichkeiten – rasch auflösen.
Doch was blieb von den Studierendenprotesten? Aufgrund der breiten Debatte in den Protestbewegungen selbst tut man sich schwer, ein klares Hauptziel zu definieren. Ein Erfolg ist unbestritten: Studierende machten auf eine prekäre Lage an den Unis aufmerksam. Zumindest gab es Solidaritätsbekundungen, die von breiten Teilen der Politik und der Bevölkerung getragen wurden.
Ansonsten wurden den Hochschülern eher lokale Forderungen zugestanden bzw. Kompromisse eingegangen. So forderten die Besetzer der Universität für Bodenkultur (BOKU) ein "Haus der Studierenden" an ihrer Alma Mater. Dieses wurde in einem Stockwerk des bis dato leerstehenden Türkenwirts der ÖH zur Verfügung gestellt. Im Foyer vor dem Hörsaal C1 des Uni Wien-Campus wurde Mobiliar für einen Aufenthaltsbereich aufgestellt, jedoch nach wenigen Monaten wieder geräumt. Auch wurden, nach jahrelanger Forderung, für ein Institut für Internationale Entwicklung Mittel und Räume zur Verfügung gestellt.
Inzwischen wurde das Bologna-System auch an den österreichischen Hochschulen integriert. Auch aus Bakkalaureus und Magister wurden weitgehend Bachelor und Master. Eine Übergangszeit zwischen alten und neuen, auf ECTS-zugeschnittenen Studienplänen, wurde bis zuletzt jedoch gewährt. Besuchende der alten Studiengänge konnten ihre Leistungen weitgehend mit ECTS-Punkten anrechnen lassen.
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