In der Stube des St. Pöltner Glöckners

ST. PÖLTEN (jg). Die Wände sind blau gestrichen, verziert mit roten und grünen Vierecken. Im Raum daneben mischt sich Gelb in die Pastellfarben. Die Holzdielen sind abgenutzt. Blickt man aus den Fenstern, kann man in allen vier Himmelsrichtungen die Dachgärten der St. Pöltner entdecken. Tauben dürften sich von Zeit zu Zeit in die Zimmer verirren, wie Exkremente vermuten lassen. In die Wände geritzte Sprüche zeugen hingegen von menschlichen Besuchern, die in den vergangenen Jahren die Stube im Glockenturm des St. Pöltner Domes betreten hatten: "30/10/2006 Lampentausch" steht da. An anderer Stelle schrieb ein gewisser Anton vor genau zehn Jahren: "Wer will mich? Suche eine Sie".

Hoch über dem Domplatz

Anton wird mit seiner Annonce wohl keinen Erfolg gehabt haben. Nur wenige St. Pöltner schaffen es in die Stube des Glöckners, direkt unter dem nahezu kompletten Geläute aus der Barockzeit. Viele wissen erst gar nicht, dass es diese Räumlichkeiten überhaupt gibt. Wolfgang Zarl zum Beispiel, Mitarbeiter in der Kommunikationsabteilung der Diözese St. Pölten. Oder Alois Brunner, heute Pfarrer in Frankenfels und viele Jahre lang Seelsorger in der Dompfarre. "Ich habe in der Zeit 1976 bis 1986 gar nicht gewusst, dass dort oben eine Wohnung ist", sagt er.
110 Stufen – durch den Dachstuhl, vorbei an Balken, die bei einem Brand angekohlt wurden – müssen zurückgelegt werden, um von der Ebene, auf der sich das Diözesanmuseum befindet, in die heute leeren Räume zu gelangen. Nur zwei Stühle stehen in einem der Zimmer bereit. In einer Nische finden sich alte Weinflaschen, eine Konservendose Erbsen und ein altes Marmeladeglas – Apfel-Pfirsich, abgefüllt am 21. August 1956.

"Der Wächter am Thurme"

Wohl bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts – vielleicht sogar bis zum verheerenden Brand des Domes im Jahr 1962 – diente die Wohnung laut Wolfgang Huber, Direktor des Diözesanmuseums, dem Türmer, um von hier aus die Glocken zu bedienen und von hoch oben eventuelle Gefahren (wie zum Beispiel Feuer) früh zu erkennen. "Der Thurmwächter am Domthurme übernimmt die Verpflichtung, bei Tag und Nacht möglichst oft Umschau zu halten, ob sich in der Stadt oder Umgebung ein verdächtiger Rauch oder Feuerschein, welcher den Beginn eines Schadensfeuers anzeigt, entwickelt", heißt es in der "Dienstes Anweisung für den Thurmwächter" aus dem Jahr 1895, auf die der St. Pöltner Schriftsteller Manfred Wieninger bei seinen Recherchen zum Zeitungsbeitrag "Der letzte Domtürmer – Er war dem Himmel täglich näher als der Bischof", der 2009 im Augustin erschien, stieß.

Geheimnis im Herzen der Stadt

Die Frage, wer der letzte Domtürmer St. Pöltens war, konnte der Schriftsteller nicht beantworten. Auch wir blieben bislang erfolglos. "Ihre Fragen sind leider ohne eine intensive Recherchearbeit nicht zu beantworten", heißt es dahingehend aus dem Diözesanarchiv. Es gibt also noch viel zu entdecken, in und über die geheime Türmerstube im Herzen der Stadt.

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