Bizarre Gender-Erlebnisse
(von Christoph Altrogge)
In letzter Zeit musste ich öfter an meinen alten Geschichtslehrer, Herrn Urbansky, denken. In der Siebten Klasse hatte er uns vom feudalen Absolutismus erzählt. Es war dies, also der Absolutismus, eine Zeit, in der den einzelnen Berufsständen unter anderem gesetzlich vorgeschrieben war, welche Speisen sie bei Hochzeiten und ähnlichen Anlässen verzehren durften.
Wir Kinder lachten uns damals kaputt, weil wir uns t r o t z S t a s i nicht vorstellen konnten, dass eine politische Macht den Leuten in derart private Angelegenheiten dumm reinquatscht.
Inzwischen habe ich jedoch das Gefühl, etablieren sich wieder ein klein wenig solche Verhältnisse.
Es war wohl im Jahr 1996, als mir ein Prospekt der Wiener Tourismus-Werbung in die Hände geriet mit der Aufschrift: "Frauen reisen anders. Best for Ladys". Aufgezählt wurden in dem Faltblatt dann alle möglichen touristischen Einrichtungen in Wien, die angeblich besonders auf die speziellen Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten seien.
Verstand ich insofern nicht, weil ich von Kindheit an bereits in einer Menge Museen gewesen war und noch nirgendwo an der Tür ein Schild mit der Aufschrift "Eintritt nur für Männer" oder "Men only" gesehen hatte.
Eine bekannte Biermarke verkündet überall in der Stadt von riesigen Plakatwänden: "Männer zeigen keine Gefühle. Sie schlucken sie runter."
Werbung eines bekannten Coffee-to-go-Herstellers im Inneren einer Bushaltestelle für seinen Latte Macchiato: "Wenn Frauen eine Runde bestellen".
Eine neue Kaffeesorte ist auf dem Markt. "Strong for the men and sweet for the ladies" wirbt sie auf den Plakaten in den Buswartehäuschen.
Sehe wie jeden Abend die Regionalnachrichten auf MDR, "Sachsen-Anhalt heute".
Jeden Sommer haben sie da so eine Aktion, die sie MDR-Sommertour nennen. Der Moderator Andreas Mann zieht da von Stadt und Stadt und fordert nach dem "Wetten, dass"-Prinzip das jeweilige Stadtoberhaupt zu einer Stadtwette heraus. Gewinnt die Stadt die Herausforderung, bekommt sie 1.000 Euro für einen guten Zweck und der Moderator muss irgendeinen Blödsinn machen. Diesmal ist der Wetteinsatz, dass er sich die Beine mit Wachs enthaaren lassen muss.
Schade, dachte ich. Meine Herkunftsregion Mitteldeutschland scheint auch langsam zu degenerieren …
Mit der Post kommt eine Gratis-Mode-und-Kosmetik-Zeitschrift. Eher beiläufig blättere ich das Heft durch. Bis ich auf eine Reportage unter dem Titel "Bestens gewartet. Das ABC der Männerpflege. Von A wie Augenbrauen bis Z wie Zehen" stoße. Dort heißt es unter anderem: "(…) E wie Enthaarung. Oder wie Epilieren. Es muss nämlich nicht immer die klassische Rasur sein, die Brusthaare, Achseln und Intimzone trimmt. (…) G wie Go! Und zwar in Richtung Kosmetikstudio. So wie man das Auto regelmäßig in die Werkstatt bringt, sollte man sich selbst auch ab und an einer Wartung unterziehen. (…) V wie V-Ausschnitt. Trägt man gern T-Shirts mit V-Ausschnitt, sollten die Brusthaare wenigstens etwas getrimmt werden. Nicht wilder Dschungel, dezente Parkkultur ist angesagt. (…) Y wie YouTube. Junge Mädchen machten es vor, erwachsene Männer nach: Auf der Video-Plattform gibt es für jede Schönheitsbehandlung eine Anleitung. Ja, für wirklich jede. Einfach zusehen und nachmachen."
Ich werde jetzt erst einmal einen Schönheitstipp für meine Wohnung beherzigen und diesen Dreck mit zwei spitzen Fingern zum Papierkorb tragen, dachte ich.
Ich gehe auf dem Wiener Ring entlang. Auf dem Fußweg vor der Universität, kurz vor der U-Bahn-Station Schottenring, entdecke ich einen Plakatständer. Das Plakat darauf macht Werbung für ein Theaterstück unter dem Titel "Männerhort" im Wiener Palais Nowak: "Frauen brauchen keine Hobbies, die haben ein Innenleben!"
An einem Vormittag bei uns im Kursinstitut. Ich betrete den Aufenthaltsraum für die Kursteilnehmer, um einen Stapel Stellenangebotslisten auf den Tisch zu legen, die gerade aktuell vom AMS gekommen waren.
Zwei Frauen unterhalten sich in dem Raum. Thema ist wohl irgendwie Kinderbetreuung.
"I TRAU'S INZWISCHEN OALLE MÄNNA ZUA, DOASS SIE OAN KINDAN VAGREIFN", kam es von der einen, etwas jüngeren Frau völlig atemlos. "I TRAU'S INZWISCHEN OALLE MÄNNA ZUA. AUSSA MEIN'M VOADA UN MEIN'M BRUADA TRAU I'S INZWISCHEN OALLE MÄNNA ZUA!!!"
"Un wie kummst auf dös?" erkundigt sich die andere Frau.
"Na, ma heert doch dauand woas im Feansehn!"
Ich dachte: Okay, deine Sache. Aber dann beschwere dich nicht, wenn dir die Kerle massenhaft davonrennen bei deiner Einstellung.
War an einem Nachmittag im Sandleiten-Einkaufscenter bei uns in der Nähe. Nachdem ich einen Brief auf der Post abgegeben hatte, sah ich mich noch ein wenig in der benachbarten Buchhandlung um. An dem Büchertisch gleich in Ausgangsnähe gerät mir ein Buch mit dem Titel "Wir Alphamädchen" in die Hände. Eher beiläufig überfliege ich den Klappentext.
Das Buch wurde, so lese ich da, von ein paar jungen Frauen geschrieben, die Männern erklären wollten, dass sie sich gar nicht vor dem Feminismus zu fürchten brauchen. Denn der Feminismus wolle dafür kämpfen, dass auch Männer frei von gesellschaftlichen Zwängen leben können.
Soweit mal d'accord, denke ich. Aber dann lese ich: Dass sich Männer unter anderem auch für Mode interessieren dürfen.
Na, das sind ja nun wirklich die essentiellen Fragen unserer Zeit.
In einem der Kiezblättchen, die mit der Post gratis nach Hause kommen, entdecke ich eine Werbeanzeige eines Beauty-Salons. Der Text darauf lautet wörtlich: "Männer, ab ins Schönheitsstudio!" Ich dachte nur: Als Freigeist und Individualist reagiere ich auf Befehlston schon mal von Haus aus stinkig.
Sehe im Fernsehen eine Dokumentation über den Untergang der "Kursk" im Jahr 2000. Der Off-Sprecher sagt dabei, der Preis für die russischen Großmachtsträume bestünde im unvor-stellbaren Leid der Mütter und Witwen. Kein Wort über das Schicksal der Männer. Dass gemeinsames Abgluckern in der Barentsee nicht wirklich das ist, was du dir fürs Wochenende vornimmst.
Ich bin überzeugt, die Matrosen auf der Kursk haben Halligalli veranstaltet, als ihre Fischkonservenbüchse sank. Die hatten bestimmt irgendeine flotte Siebziger-Jahre-Disco-Nummer über den Bordfunk laufen und sind dazu, angeführt von ihrem Captain, eine Polonaise durchs ganze Boot gelaufen …
Eine Journalistin im "Südkurier":
"Shopping
Warum kommen Männer jahrelang mit einem Paar Schuhe aus? Warum wechseln sie höchstens ein, zwei Mal im Leben die Frisur? Warum können sie einen ganzen Einkaufssamstag lang mit leuchtenden Augen durch den Baumarkt schlendern, verlieren aber spätestens nach drei Minuten vor der Umkleidekabine, in der wir das dringendst benötigte neue Kleid anprobieren, die Geduld? 'Das Klischee vom Mann als rationalem Jäger und der sorgenden Frau auf Shopping-Tour ohne Limit gilt immer noch', sagt dazu eine Studie."
Ich lese im Internet: "Im amerikanischen Nebraska ist man unlängst auf die Idee verfallen, die Schulkinder nicht mehr länger als Buben und Mädchen anzusprechen. Sie werden hinfort als nette Hasen, liebe Katzen, quirlige Goldfische oder eben kleine Pinguine angeredet."
Okay, dann will ich aber das Recht haben, fortan ein Romulaner zu sein.
Ich hatte im zweiten Wiener Gemeindebezirk zu tun. Ich begleitete einen Kunden unseres Kursinstitutes, einen Aserbaidschaner, welcher in der Stadt noch nicht so gut Bescheid wusste, zu einer Einrichtung dort.
Als wir die Gredlergasse betraten, nicht weit von unserem Ziel entfernt, dachte ich zunächst, ich sehe nicht richtig. Über einem Damenmodegeschäft befand sich ein Ladenschild mit der Aufschrift "S.H.E. Mode fürs bessere Geschlecht".
Was wohl geschehen würde, wenn ich in unmittelbarer Nachbarschaft ein Geschäft mit dem Namen "Ragnarök. Mode für den Herrenmenschen" eröffnete?
Ein Märztag. Ein Sonnabend. Ich war in den Prater gegangen, um dort Standorte von Frühblühern ausfindig zu machen. Einfach, um sie zu betrachten. Während meiner Schulzeit in der DDR haben wir in den ersten paar Schuljahren jeden Frühling im Rahmen des Heimatkundeunterrichtes Schulausgänge unternommen, welche genau demselben Zweck dienten. Ich hatte das danach dann all die Jahre als Tradition für mich selbst fortgeführt. Jedes Jahr ist es wieder ein feierlicher Höhepunkt im Jahreskreis, wenn uns Mutter Natur die Schneeglöckchen, Krokusse, Tulpen und Osterglocken als Frühlingsboten sendet.
Nun, ich war guter Dinge, da ich gleich eine ganze Reihe von Standorten dieser Pflanzen ausfindig machen konnte. Und ich rechnete eigentlich nicht damit, dass es irgendetwas geben könnte, das in der Lage wäre, mir an diesem Tag noch die Stimmung zu vermiesen.
Das änderte sich schlagartig, als ich das Rummelgelände am Beginn des Praters erreichte. Dort traf ich auf eine ehemalige Kollegin aus der Journalistenszene. Ich ging auf sie zu, um sie zu begrüßen. Als sie mich fragte, was ich hier tue, klärte ich sie wahrheitsgemäß auf. Sie musterte mich daraufhin ein wenig seltsam von oben nach unten und meinte sinngemäß, dass richtige Männer so etwas eher nicht täten, sondern nur Weicheier. Sie formulierte es etwas höflicher, aber vom Sinn her lief es darauf hinaus.
Was für ein hanebüchener Unsinn, dachte ich, und begann in meinen Geschichtskenntnissen zu kramen. Ich hatte schon Dutzende glaubhafter Zeitzeugenberichte aus vergangenen Zeiten gelesen, in denen von gutbürgerlichen Familienvätern die Rede war, welche in ihrer Freizeit mit Vorliebe die Fauna und Flora ihrer Umgebung erkundeten. Wenn man in ihrem Umfeld über sie sprach, so hatte ich gelesen, erwähnte man stets mit als Erstes, dass sie große Naturfreunde seien. Wohingegen ich nirgendwo in diesen historischen Schilderungen gelesen hatte, dass man sie seinerzeit deshalb als "keine richtigen Männer" betrachtet hätte. Im Gegenteil, niemand wäre damals auf die völlig abstruse, lächerliche, schwachsinnige Idee gekommen, dieses Hobby mit ihrem Geschlecht zu verbinden. Absurd.
Komme an einem Nachmittag von der Arbeit aus meinem Kursinstitut heim. Auf meinem Nachhauseweg entdecke ich, dass eine neue Cocktailbar aufgemacht hat. Ich denke mir: Gehst du mal rein in den Laden.
Ich setze mich also an die Theke und bestelle mir einen Cocktail.
Wie gesagt, ich habe einen anstrengenden Arbeitstag hinter mir, wo ich wie gewöhnlich Computeranfängern mit viel Geduld versucht habe, das Einmaleins des Computer-Hochfahrens, des Word, der Internet-Browser, der Jobplattformen im Internet und der Mail-Programme beizubringen, damit sie sich selbstständig bewerben können. Wie sie mit Hilfe von Google Maps und der Routenplaner-Funktion der Website der Wiener Linien selbstständig den Hinweg zu Vorstellungsterminen fanden. Ich möchte daher einfach nur noch bei einem Getränk abschalten und an gar nichts mehr denken. Einfach nur abschalten.
Spricht mich plötzlich eine Frau von der Seite an, und zwar so, dass es alle in dem Laden hören: "Also, ein richtiger Mann bestellt sich so etwas nicht! Das ist unmännlich!" Und sie hat dabei seeehr überlegen und abschätzig gegrinst.
Daraufhin zischte über meine Lippen ein sehr gequältes: "Gnädigste, ich möchte Ihnen nahelegen, sich um Ihren eigenen Kram zu kümmern!"
In einem freien Land trinke ich das, was mir passt, und wenn es Karotten-Bananen-Babysäfte sind.
Sitze in einem Café. Per Zufall bekomme ich ein Gespräch am Tisch gleich hinter mir mit, wo sich zwei Frauen unterhalten.
Eine der Frauen schlug darin vor, man sollte alle Männer, die als Kinder sexuell missbraucht wurden, in einem zentralen Melderegister erfassen. Damit, wenn irgendwo ein Kind sexuell missbraucht wird, man zuallererst bei diesen Männern nachgrasen kann, weil ihrer Meinung nach solche Männer eine besonders hohe Neigung haben, später selbst zu Tätern zu werden.
Mir fiel nur noch die Kinnlade nach unten … Ich war in dem Moment außerstande, auch nur irgendetwas zu denken …
Den Vogel abgeschossen hat jedoch ein Gender-Kurs, den ich von Berufs wegen ablegen musste. Ich hatte das Gefühl, ich säße in der "heute-show" und jeden Augenblick käme Oliver Welke aus irgendeiner Ecke vorgeschossen.
Die Mittagspause war vorbei, und unsere Gruppe betrat den Seminarraum, in dem das Ganze stattfinden sollte. Es war Zufall, dass dabei die Frauen an der einen Seite der Tische saßen und die Männer an der anderen.
Kurz nach Beginn fragte die Vortragsleiterin, eine Angestellte des Institutes, uns von der männlichen Seite dann in sehr dominanter Tonlage, was wir daheim denn an Haushaltstätigkeiten alles selber machen.
Wir saßen ein bisschen da wie dumme, kleine Schuljungen, die etwas ausgefressen hatten, vor der Frau Direktor.
Alle der anwesenden Männer bis auf einen antworteten, dass sie derzeit ohne Beziehung leben. Und dass sie sich daher ganz zwangsläufig um einen Großteil von Küche und Haushalt selber kümmern müssen. Ein paar gingen auch ins Detail und beschrieben, was sie so an Gerichten kochen.
Aber jetzt kam es. Die eher passiv-zurückhaltende Reaktion von der männlichen Tischseite hatte die Frau Leiterin offenbar ermutigt. Noch selbstsicherer fragte sie, in welchem Ausmaß wir in unserer Küchen-und-Haushaltsführung denn "weibliche" Anteile zulassen. Und erklärte auch gleich, was das sei. Salat sei weiblich. Milch und Jogurt seien weiblich. Putenschnitzel sei weiblich. Mineralwasser sei weiblich. Zuckerfreie Cola sei weiblich … Weil diese Lebensmittel zu einem ganz überwiegenden Teil von Frauen konsumiert werden, erklärte sie uns, spräche man in der Gender-Forschung, der Lehre von den Unterschieden im Verhalten von Männern und Frauen, diesbezüglich von "weiblichen Lebensmitteln".
Weibliche Lebensmittel … Wie schon gesagt, ich hielt die ganze Zeit über Ausschau, ob hinter irgendeiner Zimmerecke Oliver Welke saß und feixte …
Das wurde mir nun wirklich "zu bunt". Als ich an der Reihe war, erzählte ich, dass ich in einem sehr bodenständigem, preußisch-wilhelminisch geprägtem Umfeld aufgewachsen sei. Und beendete meine Schilderungen wortwörtlich: "Damals ist einfach noch niemand auf die Idee gekommen, solche Luxusdiskussionen zu führen, ob ein bestimmtes Lebensmittel männlich, weiblich, sächlich, transvestitisch oder klingonisch ist. Ein Lebensmittel war damals einfach ein Lebensmittel. Und es war von guter Qualität oder von schlechter Qualität. Und es schmeckte einem persönlich oder nicht. Das war alles."
Die Gesprächsleiterin war danach wesentlich kleinlauter.
Später griff man das mit den "männlichen und weiblichen Lebensmitteln" noch einmal auf. Kein Witz, wörtlich (!) teilte man uns das so mit:
Likör: "Weibliches" Getränk, da von Frauen gern getrunken.
Auch ich habe zuhause eine kleine Heim-Bar mit etlichen Likören. Nach einem anstrengendem Tag genehmige ich mir dann manchmal gern ein Schnapsglas, oder Stamperl, wie man in Österreich sagt, davon. Das ist sehr entspannend, weil man dabei sehr gut abschalten und an gar nichts denken kann.
Auch hier ist ein Blick in vergangene "Goldene Zeiten" interessant: In unserer gesamten Verwandtschaft legendär war der selbstgemachte Eierlikör meiner Großmutter, der das ganze Jahr über vorrätig war. Sie nahm dazu einen handelsüblichen Kornbrand, Eier von unseren eigenen Hühnern und noch ein paar weitere Zutaten. Bei Familientreffen haben ihn dann alle Anwesenden, Männer wie Frauen, genossen. Und keiner, wirklich keiner, hat die anderen mit so aberwitzigen Überlegungen genervt, ob das nun männlich oder weiblich sei. Waren das noch Zeiten!!!
Light-Cola: Ebenfalls ein "weibliches" Getränk.
Trinke ich übrigens auch, sofern ich überhaupt mal Cola trinke. Von der normalen Cola kriege ich nämlich immer so einen ekligen Geschmack im Mund.
Ähnlich dem zuerst genannten Beispiel: Die Beschäftigung mit Blumen und Pflanzen sei eine weibliche Tätigkeit.
Darf ich daraus schlussfolgern, dass große Geister der Gartenbauarchitektur wie etwa der Schwede Carl von Linné oder der Deutsche Fürst Hermann von Pückler-Muskau niemals existiert haben oder in Wirklichkeit Frauen waren? Oder der Botaniker Alexander von Humboldt?
Beschäftigung mit Esoterik: weiblich.
Nun, ich besitze in meiner Hausbibliothek unter anderem auch Literatur über historische religiös-philosophische Strömungen wie Pythagoreer, Essener, Gnostiker, Sethianer, Valentinianer, Manichäer, Mandäer, Katharer, Templer, Waldenser, Kabbalisten, Alchemisten, Rosenkreuzer, Spiritisten, Illuminaten, Schamanen, islamische und altpersische Mystiker, über religiöse Strömungen wie den Taoismus, über geheimlehrenartige religiöse Texte wie das I Ging, das Veda oder die Upanishaden … Und da steht zu lesen, dass all diese Strömungen von Männern gegründet und geführt wurden.
(Aber ich will nicht weiter langweilen mit etwas so Primitivem, Phantasielosem und Banalem wie knallharten geschichtlichen Fakten.)
Männliche Prosecco-Trinker: Schwule.
Fleisch essen: typisch männlich.
Verzehren von Geflügelfleisch-Produkten, wie etwa Putenfleisch: weiblich.
Verzehren von Joghurt und Quark: weiblich.
In dem Fach in unserem Kühlschrank, das für mich reserviert ist, befinden sich regelmäßig zwei Batterien Milcherzeugnisse. Die eine besteht aus Joghurt-Gläsern einer aus der Fernsehwerbung bekannten Marke. Die andere setzt sich zusammen aus lauter Bechern einer Frischkäsezubereitung, ebenfalls durch die Fernsehwerbung sehr lange bekannt. Das Fach ist regelmäßig damit angefüllt.
Verzehren von Fisch: weiblich:
Ich esse sehr, sehr, sehr gern verschiedenste Fischspezialitäten. Mein Interesse ist durch den alten Fischladen zu DDR-Zeiten in unserer Stadt geweckt worden, der diesbezüglich wirklich keine Wünsche offen ließ! Ich lege mir gern mal eine Forelle in die Pfanne. Ich esse zum Abendessen gern Lachs aufs Brot. Oder 'ne schöne fette Makrele.
Und wie passt das mit dem "weiblichen Fisch" eigentlich zu der Tatsache, dass bei den Wikingern, die nach heutigen zivilisatorischen Maßstäben ungefähr auf einer Stufe mit Hannibal Lector stehen würden, also alles andere als Weicheier, feminine Männer waren, die Hauptnahrungsquelle Fisch war?
Und überhaupt, an allen Küstenregionen weltweit sind die Männer verweiblichte Weicheier, weil sie aufgrund des naturgegebenen Nahrungsangebotes überwiegend Fisch essen?
Der gesamte weltumspannende katholische Kulturkreis besteht aufgrund der ausgeprägten Tradition des Fischessens nur aus Weicheier-Männern?
Verzehren süßer Schokolade: weiblich.
Verzehren herber Schokolade: männlich.
Whiskey: männlich.
Cocktails: weiblich.
Mineralwasser: weiblich.
Latte macchiato: weiblich. (Ich verzichte an dieser Stelle auf eine naheliegende vulgäre sprachliche Assoziation mit dem Getränkenamen.)
Frauen bevorzugten Autos, die im Kotflügelbereich "ein fröhliches Gesicht" haben. Männer hingegen kaufen lieber solche Autos, die "ein grimmiges Gesicht machen". Wurde von Experten festgestellt.
Während ich das hörte, dachte ich an die neuen Bundesländer. Konkret an den W 50 und den Trabant. Um beide Fahrzeuge haben sich in den letzten knappen 25 Jahren zwei äußerst mitgliederstarke Nostalgikerszenen gebildet. Die Vereine sind untereinander gut vernetzt, man fährt mit seinen Oldtimern gegenseitig auf die Treffen der jeweiligen Marke. Das hat auch nichts mit DDR-Nostalgie zu tun, wie es manchmal gern unterschwellig unterstellt wird, sondern das ist dasselbe wie etwa die Fiatianer in Italien oder die Mini Cooper-Anhänger in Großbritannien. Es ist praktisch ein Naturgesetz, dass jede Auto-Marke ab einer gewissen Fortdauer ihres Bestehens eine Nostalgikerszene herausbildet.
Und nun kommt es. Beide Kraftfahrzeuge verfügen ja nun über ein ausgesprochenes "Teddy-Gesicht". Aktiv in diesen Vereinen sind jedoch zum übergroßen Teil Männer. Und bei dieser sehr großen Zahl an Mitgliedern in beiden Szenen muss man durchaus von einer statistisch-empirischen Relevanz sprechen. Wie passt das nun mit den großartigen Forschungsergebnissen dieser "Experten" zusammen?
Man teilte uns auch Unterlagen aus, auf denen sich sehr eigenartige Texte befanden:
"Mit dem Stereotyp des 'richtigen' Mannes verbindet sich ein Ernährungsverhalten, das gekennzeichnet ist durch eine Vorliebe für starke Kost: sättigend, deftig, stark gewürzt und mit Biss. Weniger geschätzt werden Speisen, die als mild, leicht, lau oder irgendwie labberig gelten. Gerichte, die mit 'statusniederen' Gruppen wie Frauen, Kindern, Alten oder Kranken assoziiert werden, kommen als 'männliche' Nahrung kaum in Betracht. Ein herausragendes Symbol für Männlichkeit ist in vielen Gesellschaften das Fleisch. Es ist wie kein anderes Nahrungsmittel von einer Aura umgeben, in der sich Macht, Stärke und Potenz zu einer quasi magischen Einheit verdichten.
Diese Vorstellungen rühren vom Mythos der Einverleibung animalischer Lebenskraft her: Ein Stück Fleisch auf dem Teller bedeutet, aus dem Kampf mit der Natur als Sieger hervorgegangen zu sein. Diese greifbare Verkörperung von Herrschaft und Unterwerfung der Natur kann zugleich auch als Dokumentation einer Unterwerfung von Frauen gedeutet werden. Deren angebliche 'Naturhaftigkeit' wurde ja lange Zeit der 'Kultiviertheit' von Männern entgegegesetzt. Diese Eigenschaft als natürliches Symbol der Macht ist einer der Gründe, warum sich Fleisch so gut zur Markierung von Männlichkeit eignet."
Da wird man ja richtig meschugge, wenn man so etwas liest …
Ob eine Ware XY nun mehr von Männern oder von Frauen gekauft wird, ist doch für Privatpersonen eine reine Zahlenspielerei ohne jede Bedeutung. Um die anderen demografischen Fakten, die von den Marketing-Typen in den großen Firmen zu allen möglichen Produkten erhoben werden, wird ja auch nicht so ein hysterisches Geschrei veranstaltet. Zum Beispiel, von welcher Altersgruppe das Produkt bevorzugt erworben wird, von welcher Stadt, welcher Region, welchem Land, welcher Berufsgruppe, welcher Einkommensschicht, welcher Bildungsgruppe, ob eher von der urbanen Bevölkerung oder eher der Landbevölkerung … Sagt man beispielsweise zu einem Münchner, der eine bevorzugt in Hamburg erworbene Ware kauft, er wäre ein typischer Hamburger?
Und überdies sind diese Zahlenwerte noch so wie alle statistischen Zahlen zeitlichen Schwankungen unterworfen. Somit könnte man diese Statistiken eigentlich in einer "hinteren Gehirnsschublade" unter "Super-Mega-Nutzloses Wissen" ablegen.
Dass Männer bei der Geburt eines Kindes in Ohnmacht fallen, wäre typisch männlich.
Habe ich vor einiger Zeit auf ORF einen Bericht über das Wilhelminenspital, eines der Wiener Krankenhäuser, gesehen. Interviewt wurde unter anderem der Leiter der dortigen Geburtsstation. Zum Schluss sprach man ihn auf eben dieses Klischee an. Er meinte völlig nüchtern: So oft er diese Geschichte selber auch schon gehört habe – in seiner ZWANZIGJÄHRIGEN PRAXIS als Geburtsarzt habe er noch KEINEN EINZIGEN FALL ERLEBT, bei dem es einem Mann bei der Geburt eines Kindes schlecht geworden wäre.
Frauen seien in der Gestaltung ihrer Freizeit anspruchsvoller als Männer. Kulturelle Veranstaltungen, Museen, Theater seien "fest in Frauenhand".
Jetzt mal langsam, dachte ich. Die genaue Zahl kultureller Veranstaltungen, auf denen ich seit Anbruch der Neunziger Jahre zugange war, konnte ich nicht einmal ungefähr eingrenzen. Nicht einmal ungefähr. Und jetzt kommt es. AUF FAST ALLEN dieser Veranstaltungen war das Geschlechterverhältnis unter den Zuschauern sehr ausgewogen! AUF FAST ALLEN! Es hielt sich fast überall ungefähr 50:50 die Wage. Termine, die aus irgendwelchen Gründen reine Frauenveranstaltungen waren, konnte ich an zwei Händen abzählen. Und ich denke auch hier, eines muss man meinen knapp zwanzig Jahren diesbezüglicher Beobachtung zugestehen – eine gewisse empirische Relevanz, ging es mir abschließend durch den Sinn.
Die Grabenbruchlinie verläuft daher in diesem Fall nicht zwischen Männern und Frauen, sondern zwischen kulturell Interessierten und Desinteressierten. Die kulturell Interessierten, egal welchen Geschlechtes, muss man als ein eigenständiges Segment für sich betrachten! So rum wird ein Schuh draus! Wie viele Männer und Frauen das sind, ist reine Zahlenspielerei ohne tiefere Bedeutung. Genauso gut könnte man herausklamüsern, wie viele dieser Kultur-interessierten über Einsneunzig groß sind. Oder per Kaiserschnitt zur Welt gekommen sind. Wäre der gleiche Schwachsinn.
Und überhaupt würde mich mal die Methodik interessieren, die hinter diesen "Forschungsergebnissen" stand. Kultur ist ein weites Feld. Was wurde da überhaupt gemessen und verglichen? Oper? Theater? Kirchenkonzert? Kino? Vernissage? Sollte man den Erhalt historischer Straßen- und Schienenfahrzeuge – beides fest in Männerhand – nicht auch zur Kultur dazuzählen? Denn das ist Kulturgeschichte, Heimatgeschichte, Technikgeschichte, Designgeschichte, Wirtschaftsgeschichte …
Wie hat man untersucht? Hat sich da jemand im Theater neben den Einkartenkontrolleur hingestellt und eine Strichliste gemacht, wie viele Männer und Frauen hereinkommen? Wie habe ich mir das vorzustellen? Bevor ich mir solche steilen Thesen verkaufen lasse, hätte ich erst einmal gern ein paar Antworten darauf.
Und überhaupt: Auf wessen Initiative hin sind denn die allermeisten Museen und öffentlich zugänglichen privaten Kunstsammlungen überhaupt entstanden?
Wer hat denn zunächst erst einmal mit unermüdlichem Sammlerfleiß all die Exponate zusammengetragen? Wer hat denn sehr viel privates Kapital und Arbeitszeit in den Aufbau und Betrieb dieser Museen investiert?
Die Vortragenden erzählten uns, in der Steinzeit seien die Männer allen Jagen gegangen, die Frauen hätten gepflanzt, Beeren und Nüsse gesucht. Und dieses Verhalten hätte sich über Jahrmillionen in den Genen fortgesetzt und würde auch heute noch das Verhalten von Männern und Frauen dominieren.
Hier widersprach ich dann doch einmal. Ich sagte, ich sei zwar kein studierter Archäologe, aber soviel hätte auch ich von der Urzeit verstanden, dass eine Gesellschaft mit einer derart primitiven Arbeitsteilung unter damaligen Verhältnissen nicht mal ein Jahr überlebt hätte.
Etwas später kam die nächste bizarre Steinzeitlegende. Eben weil die Männer damals alle jagen gegangen seien, mussten sie stundenlang still sein. Und weil sie damals so wenig geredet haben, hätte sich das ebenfalls über die Gene bis in die Gegenwart übertragen. Darum sprächen Männer heute sehr viel weniger als Frauen.
Ich hatte das Bedürfnis, mit meinem Kopf fünfzig Mal gegen die Zimmerwand zu laufen. Als ich mich wieder halbwegs gefangen hatte, legte ich der Vortragenden einen Besuch in einem Museum für Ur- und Frühgeschichte nahe. Damit sie sich über die damaligen Jagdmethoden kundig machen konnte. Denn die hatten wirklich NICHTS, aber auch überhaupt nichts mit heutigen Jagdmethoden in der Jagdkanzel zu tun! Damals herrschte nämlich Ramba-Zamba bei der Jagd!
Und als Höhepunkt des Ganzen erzählte uns die Vortragende dann noch, Frauen würden in Farbe träumen, Männer hingegen in Schwarzweiß.
So ein Unsinn, dachte ich. Ich erinnere mich genau an einzelne farbliche Elemente in meinen Träumen. Einmal war ich ganz begeistert vom Blau des Himmels. Ein andermal lag ein rotes Dreieck aus Papier auf der Straße. Das hatte in dem Traum eine ganz intensive spirituelle Bedeutung.
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