Jahreskreis 29 - 18: Sonntagnachmittag - Beim ÖVP-Heurigen im Bürgerspitalshof
(von Christoph Altrogge)
Das Erste, was mir vom Heurigen auffiel, war das Bündel langer, gerollter Hobelscharten. Es hing von dem aus Metallstäben gebogenen Zunftschild über dem Tor des Bürgerspitalshofs herunter. Bereits von weitem machte es auf den Heurigenbetrieb hinter dem Eingang aufmerksam.
Ich betrat den engen Hof aus der Renaissancezeit. Etwa zwanzig Heurigentische mit jeweils zwei Bänken dazwischen befanden sich in ihm hintereinander aufgestellt. Fast alle davon waren nahezu vollständig besetzt. Einzig im hinteren Bereich des Hofes kurz vor der Bibliothek am Kopfende standen noch drei leere Tische. Ich ging ein paar Schritte nach rechts und begann mich, zwischen Hausmauer und Tischen, in diese Richtung zu schieben.
Links kam der alte, steinerne Türrahmen in Sicht. In dessen Mitte oben der Schlussstein mit der eingemeißelten Inschrift "Erbaut anno 1716". Die Tür darunter stand bis zur Wand hin offen. Ebenso die Büros der Orts-ÖVP und des Hilfswerks gleich links dahinter. Die Geräusche von klappernden Kaffeetassen und Bestecks drangen daraus hervor.
An der gegenüberliegenden Seite zog die ehemalige Bürgerspitalskapelle vorbei. Ich dachte dabei an die Geschichte der Weinstöcke davor. Sie wurde auch immer erzählt, wenn eine Stadtführung vor dem Tor vorbeikam, erinnerte ich mich. Die Pflanzen gingen zurück auf einen Mann namens Ferdinand Goldgruber. Dieser war in der Mitte des 19. Jahrhunderts jahrzehntelang als Gemeindebediensteter der Stadt tätig gewesen. Im seinerzeitigen Bürgerspital, in dem heute die ÖVP und das Hilfswerk untergebracht sind, hatte er eine Dienstwohnung. Und zur Geburt seines ersten Sohnes im Jahre 1856 pflanzte er an der Außenmauer der ehe-maligen Kapelle gegenüber sechs Rebstöcke. Vier davon tragen heute noch Trauben. Diese hatten sogar die große Reblauskatastrophe im 19. Jahrhundert überlebt.
Kurz nachdem ich mich gesetzt hatte, kam Stadtrat Gruber auf mich zu. Nach dem Umzug hatte er offensichtlich einen fliegenden Wechsel vom Moderator zum Kellner vorgenommen. Das Jackett hatte er inzwischen ausgezogen und dafür eine weiße Schürze umgebunden. In der Hand trug er ein Tablett. Es war eines von der Sorte, wie sie auf nahezu allen Freiluftfesten in der Region verwendet wurden. Rund, gelb und mit dem schwarzen Raiffeisen-Werbeaufdruck auf dem Rand. "Griaß Gott schee", rief er mir zu. "Woas deafs 'n sei?"
"Zum Trinken nehme ich einen roten Gschpritztn und zum Essen so ein belegtes Brot wie ein paar Tische hinter mir."
Noch während ich am Tisch aß, war mir der Korb für den permanenten Abverkauf antiquarischer Bücher aufgefallen. Auch an diesem Tag stand er vor dem Bibliothekseingang. Und auch in der Bibliothek selbst schien sich aus irgendwelchen Gründen am Sonntag jemand aufzuhalten. Vermutlich aufgrund des Heurigens im Hof, spekulierte ich. Irgendwann hatte ich dann auch das Glas Gschpritztn bis auf den Grund geleerte. Danach war ich, wie immer, wenn ich so etwas entdeckte, gleich auf den Korb zugesteuert. Dort hatte ich dann damit begonnen, mir die einzelnen Stücke näher anzusehen. Eine ganze Weile hatte ich auf einen Einband nach dem anderen einen Blick geworfen. Irgendwann war mir ein Buch aufgefallen, welches den Titel trug: "Das neue Weltbild. New Age, Paradigmenwechsel, Wendezeit: Das Entstehen eines ganzheitlichen, holistischen Denkens." Ganz offensichtlich handelte das Buch von Grenzwissen und Ganzheitlichkeit. Ich beschloss, es zu kaufen, da mich solche Dinge schon immer sehr interessiert hatten.
Ich hatte das Buch bezahlt und damit die Bibliothek verlassen. Draußen tauchte vor mir plötzlich der Haugsdorfer Bürgermeister Schüller auf. "Im Althof-Restaurant ist groad a Essen fia de Eahngäst vuam Weilesefest", teilte er mir mit. "Kumman Sie a doahin?"
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