Thermenregion
Die Heurigenkultur im Wandel
Unsere Heurigen. Kaiser Josef II erließ 1784 das Buschenschank-Patent. Es erlaubte Weinhauern, für einen bestimmten Zeitraum eigene Weine und eigene Lebensmittel, etwa aus Hausschlachtung, zu verkaufen. Sie wurden DIE Nahversorger in den Orten. Doch es gibt immer weniger traditionelle Heurige.
THERMENREGION. In Oberwaltersdorf betreibt Heinrich Hartl III, Obmann des örtlichen Weinbauvereins, den letzten Heurigen im Ort. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es In Oberwaltersdorf noch an die 50 klassische Buschenschanken. Es wurden immer weniger. Und jetzt gibts eben nur noch einen. Auch in Gumpoldskirchen, dem Paradeweinort im Bezirk Mödling, gibt es statt 200 Buschenschanken nach dem Krieg heute noch 21.
Heinrich Hartl und sein Vorgänger als Weinbauvereinsobmann (von 1968 - 2003), Josef Auer, plaudern miteinander über die Gründe des Rückgangs der Heurigenkultur, die nicht nur in Oberwaltersdorf sondern in der ganzen Thermenregion spürbar ist.
Gründe gibt es viele. Und sie klingen im Gespräch durchaus an. Etwa die Konsumgewohnheiten. Josef Auer: „Früher hat man gute und schlechte Weine ausführlich beredet, dabei gab es nur Rote und Weiße – und das normale Maß war ein Vierterl. Da saßen oft 15 Leute an einem Tisch zum Diskutieren. Oft wurde gesungen. Es gab ja lange kein Fernsehen. Heute wird mehr übers Essen als übers Trinken diskutiert.“
Heurige und Wirtshäuser
Viele Heurigenwirte haben inzwischen auch Gastgewerbe-Konzessionen und bieten warme Speisen an. So auch Heinrich Hartl: „Wir setzen stark auf regionale Produkte und kommen so unserem Nahversorger-Auftrag weiter nach.“
Das hat natürlich seinen Preis. Hartl: „Ich hatte viele Diskussionen mit meinem Vater, der sich in seiner Zeit als Betriebsführer über billige Preise positionieren wollte. Aber so kann man heute nicht mehr korrekt wirtschaften oder eine Familie ernähren. Auch wegen diesem Wettbewerb um den billigsten Preis haben viele Buschenschänker die Perspektive verloren bzw. sind die Nachfolger nicht bereit den Betrieb weiterzuführen“
Im Wandel der Zeit
Es hat sich auch das Verhalten zum Alkoholkonsum geändert. Josef Auer: „Früher haben sich manche Semperitarbeiter vor dem Schichtwechsel ein Glas Wein gegönnt. Oder am Bau wurden alkoholische Getränke in den Pausen getrunken. Das ist heute alles undenkbar.“
Der Glykolskandal im Jahr 1985 brachte eine grundsätzliche Wende in der österreischischen Weinwirtschaft. Heinrich Hartl: „Das neue Weingesetz – das strengste der Welt - hat von der Quantität zur Qualität hin geführt. Das war ein radikaler, aber mutiger Schritt. Der heimische Wein hat an Image gewonnen.“
Zehn Jahre später kam die 0,5 Promille-Grenze für Autofahrer. Das änderte das Konsumverhalten der Gäste in der Gastronomie und so auch bei den Heurigen Hartl: „Heute sitzt an jedem Tisch mindestens einer, der alkoholfreie Getränke trinkt, weil er Auto fährt. Zwei Achterl pro Gast sind im Schnitt die Konsumation der Gäste über alle Besucher an einem Tag gerechnet . Wenn ich an einem Abend ca. 150 Gäste habe, verkaufe ich 40 Liter Wein.“ Josef Auer erinnert sich: „Früher konnte man beim Greißler fast keinen Wein kaufen. Heute geht jeder, der Butter und Brot im Supermarkt kauft, an riesigen Weinregalen vorbei und deckt sich auch mit Wein ein.“ Der Alkoholkonsum verlagert sich in die eigenen vier Wände, nicht zuletzt auch im Zuge der Pandemie. Hartl: „Der Ab-Hof-Verkauf kann durch den Heurigen durchaus belebt werden.“
Auch das Rauchverbot in Innenräumen, die Registrierkassa, sowie der Personalmangel setzen dem „Nahversorger“ Heuriger zu. Aber auch neue Schädlinge im Weingarten fordern die Winzer „Die letzte Reblaus wurde ja angeblich im Sooßer Lausturm eingemauert, aber heute haben wir es mit asiatischen Marienkäfern und Kirschfruchtessigfliegen zu tun“, weist Josef Auer auf eine weitere Widrigkeit hin
Und die Zukunft?
Nichts desto trotz verliert er nicht den Glauben daran, dass im Zuge einer gesellschaftlichen Tendenz zur Entschleunigung der Heurige ein ein wichtiger Bestandteil der österreichischen Gesellschaft bleiben wird.
Heinrich Hartl, der den Weinbaubetrieb in Oberwaltersdorf in sechster Generation führt und Vater von vier Kindern ist, ergänzt: „Es wird vielleicht nicht mehr so sein wie früher. Aber Popup-Heurige, die sich an Events wie der Genussmeile orientieren, wird es künftig sicher mehr geben. Und es wird vielleicht auch Gastronomen geben, die – anstatt griechisches oder mexikanisches Flair anzubieten – Heurigenatmosphäre schaffen. Sie sind zwar keine echten Heurigen im Sinne, dass sie selbst eigene Weingärten bewirtschaften und ihren eigenen Wein produzieren so wie im Sinn des Patents von Josef II. Aber das Heurigen-Flair ist doch unschlagbar. Daran glaube ich fest.“ In seiner Funktion als Obmann des Regionalen Weinkomitees Thermenregion ist er überzeugt: „Wenn es uns gelingt, dass von den 350 000 Bewohnern der Thermenregion jeder pro Jahr 20 Flaschen regionalen Wein genießt, sind wir nahezu ausgetrunken!“
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