Corona-Krise
Wie sehr Kinder unter der Corona-Krise leiden

Finanzielle Sorgen, Lockdown, zu viel Zeit zusammen auf engem Raum: In der Corona-Zeit kriselt es in vielen Familien. Kinder und Jugendliche sind die Leidtragenden.  | Foto: Pixabay/geralt
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Finanzielle Sorgen, Lockdown, zu viel Zeit zusammen auf engem Raum: In der Corona-Zeit kriselt es in vielen Familien. Kinder und Jugendliche sind die Leidtragenden. Rainbows wie Rat auf Draht verzeichnen nach wie vor verstärkte Nachfrage. Doch was können Eltern aktiv tun, um mit dem Druck besser umzugehen?

KÄRNTEN. Für viele Familien ist die Corona-Zeit eine echte Zerreißprobe. Nicht nur der Lockdown, den viele Familien auf engem Raum erlebten, erhöhte den Druck. "Wir merken zunehmend die Auswirkungen der Corona-Krise", sagt Christoph Schneidergruber, psychologischer Leiter im Hermann-Gmeiner-Zentrum im SOS-Kinderdorf Moosburg. Während vor allem entwicklungsbelastete Kinder den Lockdown noch als "Entlastung" erlebt hätten, nimmt die Entwicklungsverzögerung nun zu. "Mit Beginn der Schule hat sich der Druck erhöht, für den Herbst erwarte ich, dass sich der Druck nochmal erhöht und viele Kinder und Eltern an ihre Belastungsgrenzen stoßen", so Schneidergruber. 
Eine deutliche Zunahme merke er bei Gewalt- und Trennungsrisiko in Familien, Angststörungen bei Kindern nehmen massiv zu.

Neue Lebenskonzepte entwickeln

Begründen kann er das so: "Kinder spüren nun, dass ,Corona' nicht nur eine Phase ist. Es wird ihnen klar, dass es nicht mehr so wird wie früher. Sie müssen ihre sozialen Kontakte neu aufstellen. Es herrscht viel Orientierungslosigkeit. Kinder brauchen aber absehbare Rituale, die ihnen Sicherheit geben. Diese Sicherheit gibt es momentan nicht." Und auch die Verunsicherung der Erwachsenen überträgt sich auf die Kinder. 
Schneidergruber: "Wir sind also gefordert, neue Lebenskonzepte zu entwickeln. Wie kann etwa die Geburtstagsfeier stattfinden? Wie kann ich mit meinen Freunden in Kontakt treten? Wichtige Rituale sind neu aufzustellen." 
Was im Lockdown noch nicht sichtbar war, bricht nun auf, und Konflikte in Familien nehmen zu. Arbeitslosigkeit und finanzielle Belastungen schaffen Spannungen. Streitereien, aber auch körperliche Übergriffe nehmen zu. Auch Jugendarbeitslosigkeit wird nun immer mehr zum Thema, weiß der Experte aus der Praxis.

"Wir merken zunehmend die Auswirkungen der Corona-Krise", sagt Christoph Schneidergruber, psychologischer Leiter im Hermann-Gmeiner-Zentrum im SOS-Kinderdorf Moosburg. | Foto: SOS Kinderdorf, Hauboldt
  • "Wir merken zunehmend die Auswirkungen der Corona-Krise", sagt Christoph Schneidergruber, psychologischer Leiter im Hermann-Gmeiner-Zentrum im SOS-Kinderdorf Moosburg.
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Positive Ansätze entwickeln

Doch was können Eltern aktiv tun, um mit dem Druck besser umzugehen? Hier empfiehlt Schneidergruber drei Schritte:

  1. Jetzt einmal Urlaub machen, sich erholen, den Druck rausnehmen.
  2. Kindern und sich selbst (Eltern) die Möglichkeit geben, Ängste, Sorgen etc. auszusprechen.
  3. Positive Energie sammeln und Kindern Sicherheiten geben, die man auch geben kann. Das Motto muss sein: "Wir schaffen das!" Wir finden einen Weg für die Schule, wie wir den Geburtstag feiern können … Den Krisenmodus ausschalten und positive Ansätze entwickeln.

Eltern müssen auch auf sich schauen. "Geht es den Eltern gut, geht es den Kindern gut", so Schneidergruber. 

Halbes Jahr Wartezeit

Im Hermann-Gmeiner-Zentrum – das Zentrum in Moosburg und seine Außenstelle in Villach sind ein Ambulatorium für Neurologie und Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters – gibt es derzeit 356 Therapieplätze. Und es werden noch viel mehr benötigt, denn die Wartezeit für eine längere Therapie beträgt derzeit ein halbes Jahr. "Das ist viel zu lange im Leben eines Kindes", weiß Schneidergruber. Er ortet aber seitens der Politik einen breiten Konsens und rechnet daher mit einer weiteren Aufstockung der Therapieplätze in den nächsten Monaten.

Mehr Scheidungen durch "Corona"

Laut Experten wird auch die Trennungsrate durch "Corona" 2020 noch weitaus höher ausfallen. 12.927 Kinder in Österreich (750 in Kärnten) waren laut der letzten Statistik von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Die Dunkelziffer ist allerdings höher, weil Trennung nicht berücksichtigt sind. "Wochenlang aneinander zu kleben und nicht auskönnen, wenn die Beziehung ohnehin schon schlecht läuft, ist ein Drama", weiß auch Ulla Nettek, Leiterin von Rainbows Kärnten.
Für Kinder bedeutet diese Situation meist ein Gefühlschaos. 

Rainbows-Gruppen laufen über den Sommer

Rainbows hilft Kindern und Jugendlichen bei Trennung bzw. Scheidung der Eltern oder beim Tod einer nahestehenden Person. "Derzeit laufen in Kärnten den ganzen Sommer über so viele Gruppen wie noch nie, denn auch wir mussten zwei Monate pausieren. Und es kommen laufend Anmeldungen herein, im Herbst starten neue Gruppen", so Nettek. 
Das Rainbows-Konzept sieht zwölf Kinder-Treffen in altershomogenen Gruppen und drei Elterngespräche vor. Nettek: "Mit den Kindern wird viel praktisch gearbeitet. Man geht auf ihre Gefühle ein. Sie lernen, was sie machen können, wenn es ihnen schlecht geht, an wen sie sich wenden können." Denn Kinder könnten oft nicht zuordnen, was sie da empfinden. Je kleiner sie sind, desto schwieriger ist es.

"Wochenlang aneinander zu kleben und nicht auskönnen, wenn die Beziehung ohnehin schon schlecht läuft, ist ein Drama", weiß auch Ulla Nettek (rechts), Leiterin von Rainbows Kärnten. | Foto: Wolfgang Unterlercher
  • "Wochenlang aneinander zu kleben und nicht auskönnen, wenn die Beziehung ohnehin schon schlecht läuft, ist ein Drama", weiß auch Ulla Nettek (rechts), Leiterin von Rainbows Kärnten.
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Kindertreffen und Elterngespräche

In den Gruppentreffen sind Gefühle wie Wut oder Angst erlaubt, die Kinder dürfen auch mal schreien. Sie dürfen ihre Gefühle zulassen, was wichtig für die Verarbeitung ist. Die Kinder haben auch ähnliches erlebt, fühlen sich also nicht alleine – und sie können sich einer neutralen Person anvertrauen.
In den Elterngesprächen wird den Erwachsenen vor Augen geführt, wie sie miteinander umgehen sollten. Nettek: "Wir bringen ihnen den Umgang mit der Situation und die Auswirkungen auf ihre Kinder näher."

Rat auf Draht "läuft heiß"

Auch die Notrufnummer für Kinder und Jugendliche, Rat auf Draht, bemerkt derzeit verstärkt Belastungen von Kindern, weil Eltern streiten. "In der Phase des Corona-Locdowns haben sich besonders viele Kinder und Jugendliche bei uns gemeldet, die von Streit in der Familie und zwischen den Eltern berichteten", erzählt Birgit Satke, Leiterin von Rat auf Draht. 
"Viele Kinder befürchten, dass sie nach der Scheidung einen Elternteil verlieren, manchen fällt es schwer zu entscheiden, ob sie bei Mutter oder Vater leben möchten. Sie sollen keinen von beiden kränken oder verlieren. Auch dir Sorge, durch einen Wechsel des Wohnorts die Freunde zu verlieren, beschäftigt viele." 

Viele Anfragen zum Thema Scheidung

Bei den Anrufen gab es im Vergleichszeitraum zum Vorjahr einen Anstieg von 63 Prozent zum Thema Scheidung. Von Mitte März bis Ende Mai gab es heuer rund 170 Anrufe zu Konflikten zwischen den Eltern – etwa gleich viele wie im gesamten Jahr 2019. Obwohl es keine Bundesländer-Zahlen gibt, ließen sie sich auf die Länder herunterbrechen.
Satke: "Wir rechnen nicht damit, dass dieser Ansturm auf Rat auf Draht abrupt endet, denn oft wurden Probleme erst zurückgehalten und sie treten dann erst nach einer bestimmten Zeit auf." Rat auf Draht musste die Ressourcen aufstocken, um den steiegnden Anfragen gerecht zu werden.

Ein paar Zahlen von Rat auf Draht (österreichweit):

  • Konflikte mit Eltern 2019: 2.103 Beratungen (789 zwischen 16. März und 31. Mai 2020)
  • Konflikte zwischen den Eltern 2019: 169 Beratungen (171 zwischen 16. März und 31. Mai 2020)
  • Scheidung 2019: 141 Beratungen (44 zwischen 16. März und 31. Mai 2020)
  • Vergleicht man den Zeitraum 16. März bis 31. Mai 2019 mit 2020, ergeben sich folgende Steigerungen: Konflikte mit Eltern 92 %; Konflikte zwischen den Eltern 328 %; Scheidung 63 %

Kontakte:

  • Rat auf Draht berät Kinder und Jugendliche rund um die Uhr anonym und kostenlos unter der Notrufnummer 147. Mehr: www.rataufdraht.at
  • Rainbows:www.rainbows.at
  • Hermann-Gmeiner-Zentrum im SOS-Kinderdorf Moosburg: Ambulatorium für Neurologie und Psychiatrie des Kindes und Jugendalters – 04272/82 528 (Montag bis Donnerstag, 8 bis 12 Uhr); hgz@sos-kinderdorf.at

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