Stockerau vorbildhaft im Erhalt des jüdischen Geschichtsgut
STOCKERAU. 136 Gräber beherbergt der jüdische Friedhof in Stockerau. Immer wieder kam es zu Vandalenakten auf dem rund 1800 Quadratmeter großen Areal. Eindringen konnten die Aggressoren über eine desolate Mauer.
Geschichtsbewusst
Diese wurde nun als eines der ersten Projekte mit Mitteln des Bundesfonds saniert. Neben Deutschkreuz ist Stockerau die einzige Gemeinde, die sich sofort mit der Unterzeichnung der Pflegevereinbarung hinter die Sanierung stellte. Weitere folgten, manche sind immer noch nicht unterzeichnet.
Für Bürgermeister Helmut Laab war es wichtig den Friedhof als Ort des Gedenkens in einer würdigen Form zu erhalten: "Wir sind uns unserer Geschichte bewusst und wollen sie für nachfolgende Generatationen erhalten." Mit Amtsleiterin Maria-Andrea Riedler liegt das Projekt auch in guten, interessierten Händen. Sie ist selbst als Fremdenführerin tätig.
Gut gepflegt
Mit der Sanierung der Außenmauer – inklusive Einbau eines großen Tores – ist die Arbeit am Friedhof noch lange nicht abgeschlossen. Derzeit werden Daten, wer in den Gräbern bestattet ist, auf einer Internet-Plattform zusammengetragen. 2015 gehen die Außenarbeiten weiter, indem man die Gräber selbst saniert.
Karina Seidl
ZUR SACHE
2010 verpflichtete sich Österreich im Zuge des Washingtoner Abkommwns zur Instandhaltung der 60 jüdischen Friedhöfe auf dem Bundesgebiet. Insgesamt 20 Millionen Euro fließen in einen Fonds. Bei den Friedhöfen ist das Geld allerdings nur spärlich angekommen. Für die Zuerkennung der Förderungen ist das Bundesdenkmalamt zuständig. Um die Erhaltung kümmern sich zumeist Private.
140 Jahre Jüdischer Friedhof in Stockerau
Kaiser Josef II hatte mit seinem Toleranzedikt 1781 die Stellung der Juden wesentlich verbessert. Dennoch dauerte es bis zum Jahr 1848, bis die Angehörigen Jüdischen Glaubens den anderen Religionsgemeinschaften und Kirchen gleichgestellt wurden. Ab diesem Zeitpunkt nahm die Zahl der jüdischen Einwanderer vor allem aus den östlichen Teilen der Donaumonarchie ständig zu. Am 8. Oktober 1856 gründeten die Stockerauer Juden einen Minjan-Verein (Betverein), der für religiöse Handlungen und den jüdischen Religionsunterricht zuständig war. Durch Kaufvertrag vom 1. Februar 1874 erwarb der Minjan-Verein das Grundstück in der Schiessstattgasse und legte einen jüdischen Friedhof an, der 1895 erweitert und 1905 schließlich an die Kultusgemeinde Stockerau übertragen wurde. In Stockerau befand sich auch ein sehr schöner Tempel, der nach den Plänen des Stockerauer Baumeisters Leopold Holdhaus im Jahr 1903 errichtet wurde, und den der Rabbiner Dr. M. Rosenmann am 3. Dezember 1903 einweihte. 1938 wurde der Tempel im Einvernehmen mit dem Bürgermeister und der Kreisleitung nach den Plänen von Architekt H. Jelinek in eine evangelische Kirche, die Luther-Kirche, umgebaut. Im Mai 1938 bekannten sich in Stockerau noch 129 Personen und zwei Angestellte zum jüdischen Glauben, im März 1940 lebten nur noch vier jüdische Bürger in unserer Stadt. Die israelitische Kultusgemeinde Stockerau wurde mit Erlass des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten vom 30. März 1940 aufgelöst.
Damit ist der Jüdische Friedhof von Stockerau heute das letzte Relikt einer einstmals blühenden jüdischen Gemeinde. Auf dem Friedhof befinden sich noch 136 Grabsteine, die teilweise sehr gut erhalten sind., wenn auch die Inschriften manchmal nur noch schwer lesbar sind. Auffallend sind, die verkehrt stehenden, mit der Inschrift vom Grab weggedrehten Steine, eine Besonderheit des Friedhofes Stockerau. Es gibt mehrere Erklärungsversuche dafür: Eine Ansicht besagt, gläubige Juden sollten mit dem Blick nach Jerusalem begraben sein.
Auf den Grabsteinen kann man noch so manche Namen entziffern, die in im Stockerauer Gesellschafts- oder Geschäftsleben eine bedeutende Rolle gespielt haben. Auf einem Grabstein steht „Helene Pulgram – geboren 1864, gestorben 1942 in Theresienstadt“ (KZ). Das älteste Grab stammt aus 1874, das jüngste aus dem Jahr 1961 (Frau Jeannette Skutetzky, geb. Munk).
Auf dem Friedhof befindet sich auch ein Grabmal, das direkt an die Gewalttaten der NS-Zeit erinnert. Auf dem Grabstein ist folgendes zu lesen: „In diesem Grab ruhen sechs Jüdische Zwangsarbeiter, welche als Opfer des Nationalsozialismus den Märtyrertod gestorben sind. Fünf dieser Märtyrer sind namenlos. Der zuletzt am 30.1.1945 beigesetzte Märtyrer war Samuel Feldheim aus Szeged (Ungarn). 1884 – 1944. Dieses Grabmal wurde von der israelitischen Kultusgemeinde Wien errichtet“. Es handelt sich hier um Arbeiter, die man aus einem fahrenden Zug geworfen haben soll.
Im Rahmen der „Aktion 8000“ wurden Sanierungsmaßnahmen auf dem jüdischen Friedhof von Stockerau durchgeführt. Seit dem Jahr 1988 pflegt die Stadtgemeinde Stockerau nun in Erinnerung an die ehemaligen Bürger ihrer Stadt den jüdischen Friedhof, das heißt regelmäßiges Grasmähen, Rückschneiden der Bäume und Auflegen oder Anlehnen der umgefallen Steine auf den Gräbern.
Seit 2004 ist der Jüdische Friedhof in Stockerau alljährlich am 1. November für Besucher geöffnet. Viele Besucher nützen diese Möglichkeit einen Blick in die Geschichte unserer Stadt zu machen und drücken ihre Verbundenheit mit den ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern unserer Stadt aus: In der Dämmerung brennen jedes Jahr auch auf dem jüdischen Friedhof Kerzen zum Zeichen des stillen Gedenkens.
Maria-Andrea Riedler
Stadtamtsdirektorin Stockerau
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