Eine Feiertagsgeschichte - "Das Tier in mir"
Es ist wie es ist, schwierig, und doch so selbstverständlich, dass wir Menschen nicht so sein können wie wir eigentlich sind. Werden wir nicht Tag für Tag dazu aufgefordert eine bestimmte Erwartungshaltung in unserem sozialen Umfeld zu erfüllen? Würde man uns denn überhaupt glauben, wenn wir vielleicht … anders wären?
Nein, denn dazu ist diese Welt bereits zu verrückt, als dass sie die eigentliche Wahrheit noch akzeptieren würde!
Ein schallendes Geräusch drang von den steinernen Stufen, durch den dunklen Gang des Kellers, zu ihm herüber. Hier unten würde ihn doch niemand vermuten, zu sehr waren sie gerade alle mit sich selbst beschäftigt.
Zaghaft drehte er den Kopf zur Seite und roch an der Mauer. Ein süßer Duft drängte in seine Nase und vermischte sich mit dem modrigen Geruch des Gewölbes.
Schritte, hell und klar - war er vielleicht doch zu weit gegangen? Er konnte es fühlen, jemand suchte förmlich nach ihm!
Angespannt lauschte er dem immer lauter werdenden Geräusch. Seine Augen waren perfekt an die Dunkelheit gewöhnt. Jahrelanges Training oder einfach ... Veranlagung? Seine Gedanken waren bei IHR, die er über alles verehrte, SIE die ihn vor all den anderen schützte, ihm seine Identität bewahrte. Für SIE würde er sogar sterben … vielleicht.
Ja, ja, der Tod, ein oft bedachter Gast in seinem Leben und doch hatte er Angst ihm einmal zu begegnen. Was hilft es schon zu wissen, dass er jedem einmal widerfährt?
Ruhig richtete er sich auf und lehnte sich an die Wand. Starke Krämpfe zermalmten seinen Brustkorb und er spürte, wie sich ein stechender Schmerz in seinen Kopf bohrte. Mehrmals atmete er tief durch.
Im nächsten Moment durchbrach seine Wirbelsäule die gewohnte Lage und krümmte seinen Rücken nach außen. Arme und Beine legten an Masse gewaltsam zu, die Hände verformten sich zu schrecklichen Klauen … und sein Gesicht … ein todbringendes Maul mit reißenden Zähnen, zur Unkenntlichkeit entstellt.
Kraftvoll drehte er sich aus der Mauernische in den Gang hinaus.
"Du Narr!", hallte es ihm entgegen. "Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dir diesmal unvorbereitet entgegentrete?"
Eine anmutig erscheinende Engelsgestalt, mit großen, weißen Flügeln stand keine fünf Meter von ihm entfernt. "Wie konntest du es nur herausfordern? Sagte ich dir nicht allzu oft, dass sich unser Blut nie vermischen darf! Ich hätte es nie erlauben sollen, und dennoch spüre noch immer ein klein wenig Verlangen in mir. Aber ich musste mich von dieser Last befreien!
Die Klauen des Untiers ballten sich zu zwei riesigen Fäusten.
"Aber warum? Maria hätte doch nie etwas davon erfahren! Wir können schließlich keine Kinder bekommen, und unsere Liebe … Gott allein weiß was richtig ist oder falsch!"
"Wäre es dir vielleicht lieber gewesen abzuwarten wie sich die Brut eines Himmelwesens mit einem Geschöpf der Dunkelheit vermischt? Erinnere dich doch an das Buch, dass ich dir letztes Jahr geschenkt habe. Die wahre Identität, nur 'Gleich und Gleich' oder aber 'Unbewusst' dürfen sich miteinander verbinden!"
Wütend vor Schmerz stürzte sich das Untier auf die Engelsgestalt und riss sie zu Boden. Die scharfen Zähne bohrten sich tief in ihren Hals.
"Dann hättest du es nie zulassen dürfen! Du wusstest von meinem Sein, ich aber nicht von deinem. Und dieses Buch, wer weiß ob es die Wahrheit spricht? Du wolltest dich doch nur von mir loslösen! Vielleicht hast du ja deinen Himmelspartner bereits gefunden? Oh nein, ich lasse dich nicht zu ihm … NIEMALS!"
"Na endlich, mein Schatz, wir warten schon auf dich!", erklang eine vertraute Stimme, als Sebastian die Wohnzimmertür öffnete. "Hast du den Wein gefunden, unsere Gäste sind schon am verdursten?"
"Aber natürlich mein Engel! Das ist doch gleich etwas anderes als dieser zuckersüße Festtagspunsch. Bist du so lieb, Mariechen, und holst 11 Gläser aus der Vitrine!"
"Aber wir sind doch zu zwölft?" fragte die junge Frau.
Liebevoll legte Sebastian den Arm um ihre Hüften.
"Ich wollte es dir soeben sagen, aber deine Mutter hat sich in dieser Gesellschaft nicht wohlgefühlt und ist bereits gegangen. Was soll´s, dann feiern wir eben ohne sie!"
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
4 Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.