Gastspiel des NÖ Landestheaters in Baden:
Thomas Manns "Zauberberg" als Innenschau
BADEN. In einen überdimensionalen Brustkorb (Bühnenbild von Nanna Neudeck) wird das Publikum in Sara Ostertags Inszenierung von Thomas Manns "Der Zauberberg" gezogen. Er steht wohl für extreme Innenschau, für Krankheit, Sanatorium, Abgeschlossenheit und Schutz zugleich. "Beschützt" wird eine kranke Gesellschaft, die sich mit populärphilosophischen Disputen und beständigem Temperaturmessen die grenzenlose Zeit vertreibt, eine Zeit, die doch nur in den Zerfall treibt, wie es in einem Songtext von Clara Luzia heißt. Die Musikerin sorgt mit Schlagzeugerin Catharina Priemer-Humpel für permanente Melancholie aus dem Hintergrund.
Krank und bunt
Gesund wird in diesem Sanatorium der Wohlhabenden niemand. Und wenn einer gesund war, wie Hauptfigur Hans Castorp (Tilman Rose) am Anfang als blasser Jüngling von sich behauptet, so wird ihm dies durch die Kunst der Ärzte ausgetrieben. Gleichzeitig wird er bunter und damit immer mehr zum Menschen.
Mit Ausnahme von Tilman Rose sehen wir alle Darsteller in mehreren Rollen. Tim Breyvogel etwa tritt als Clawdia Chauchat auf, in die sich Castorp schwer verliebt, weil sie ihn an seine schwärmerische "Jugendliebe" Pribislav erinnert, als die er auch zu sehen ist.
Zu kurz kommt in der Inszenierung der politische Gehalt des "Zauberbergs", der immerhin in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg spielt und ausgerechnet im schweizerischen Davos, wo sich auch heute - unter Polizeischutz - das Weltwirtschaftsforum trifft, das von Globalisierungskritikern heftig bekämpft wird.
Zu sehen ist "Der Zauberberg" noch bis 12. Jänner 2022 im Landestheater in St. Pölten. Die Gastspiele im Badener Stadttheater waren gut besucht und es gab viel Applaus.
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