Kultur kurios: Volk und Bevölkerung

Wer Europa zur Festung ausbauen möchte, braucht dafür Personal, dessen Tod eine Gesellschaft hinnehmen würde.
  • Wer Europa zur Festung ausbauen möchte, braucht dafür Personal, dessen Tod eine Gesellschaft hinnehmen würde.
  • hochgeladen von martin krusche

Das 20. Jahrhundert hat klar gemacht, wir sind kein Volk, sondern eine Bevölkerung. Gut, man könnte von einem Staatsvolk reden.


Das wären dann alle Menschen, die über eine österreichische Staatsbürgerschaft verfügen. Aber benehmen wir uns politisch so reif?

Da werden Ihnen viele, deren Sprechen man anhört, daß sie nicht hier geboren wurden, was anderes erzählen. Denen hilft ihre amtliche Staatsbürgerschaft nur wenig, um im Alltag dem Staatsvolk zugerechnet zu werden.

Mit dem Begriff „Integration“ schwindeln wir uns darüber hinweg, daß kein Mensch weiß, in was genau man mit welchen Eigenschaften eigentlich wie „integriert“ werden soll, um sich… Ja, was nun? „Österreichisch“ zu fühlen? Und was genau wäre das, „österreichisch“? Erzählen Sie doch, ich höre interessiert zu!

Wir sollten eigentlich von Koexistenz reden. Es ginge um das Zusammenleben verschiedener Ethnien, wie das in über einem halben Jahrtausend Herrschaft der Habsburger ganz normal war. Damit haben wir geschichtlich auf jeden Fall mehr Erfahrung als mit dem monokulturellen Nationalstaat, der neuerdings zur Festung ausgebaut werden soll.

Wie ist es bloß gekommen, daß sich Europa, vor allem das nördliche, industrialisierte Europa, welches sich für das westliche Europa hält, so viel eurozentrische Arroganz aufbauen konnte, daß wir heute damit dauernd ins Schleudern geraten?

Als der Schwarze Tod Mitte des 14. Jahrhunderts Europa entvölkerte, fast die Hälfte seiner Menschen hinwegraffte, verloren die Herrschenden praktisch jede zweite Arbeitskraft, die für fürstliches Wohlergehen hackeln sollte. Dieser Mangel an Leibeigenen wurde in den kommenden Jahrhunderten mit einer rigorosen Geburtenpolitik behoben.

Das heißt im Klartext, ab zirka 1500 wurden Frauen politisch und kulturell zu Gebärmaschinen umgekupfert. Ein Konzept, das sich bis zu den Mutterkreuz-Trägerinnen des Nazi-Gesindels hielt. Eine der Konsequenzen dieser Politik war ein permanenter Überschuß an zornigen jungen Männern, die zuhause nichts werden konnten, weil es meist nur für die Erstgeborenen gute Positionen gab.

Soziologe Gunnar Heinsohn sagt lapidar, Hunger ist schrecklich, doch um Brot werde gebettelt, das sei eher ungefährlich. „Niemand fürchtet den Hunger strategisch. Aber um Position wird geschossen.“ Position. Geltung. Rang. Es dürfte unter Menschen, vor allem unter Männern, weltweit keine Ambition geben, die so rückhaltlos und energisch verfolgt wird.

Der lange andauernde, politisch gesteuerte, von der Kirche forcierte Geburten-Boom brachte jene Jungmänner-Horden hervor, mit denen Europa sich in kürzester Zeit fast 90 Prozent der Erde unter den Nagel riß. Das heißt, es gab genug Männermaterial, um zuhause Bürgerkriege zu führen, um fremde Länder zu erobern, diese Länder auszutöten und zu besiedeln. Überschrift: Europas Kolonialzeit.

Ich habe eine Nachbarin, vormalige Keuschlerin, die hat sechs Kinder durchgebracht. Dafür mußte sie einige mehr gebären. Es ist also noch nicht gar so lange her, daß europäische Frauen im Schnitt wenigstens vier bis sechs Kinder ins Leben führten. Waren davon die Hälfte Buben, stand alle fünfzehn Jahre eine neue Kohorte von Jungmännern im klassischen Kampfalter da.

Ohne diesen permanenten Überschuß an jungen Männern, welche in den bestehenden Volkswirtschaften eigentlich niemand brauchte, wären weder die Kolonialisierung der Welt durch Europa, noch die zwei Weltkriege des 20. Jahrhunderts machbar gewesen.

Es gab in unseren Breiten nur für die Erstgeborenen gute Positionen, da und dort fallweise noch für den Zweitgeborenen. Was eben für Acker, Kirche und Armee, Handel, Schule und Verwaltung gebraucht wurde. Die Dritt-, Viert- und alle Nachgeborenen blieben ohne jede Chance auf sozialen Aufstieg, ja auf Hausstand und Eheschließung.

Damit war den jungen Männern in christlichen Landen auch eine gesellschaftlich akzeptierte Form des sexuellen Lebens verwehrt, denn das hatte eine Ehe zur Bedingung. Kein Geld, kein Sex, kein gutes Leben auf legale Art. Verkaufen Sie das einem Achtzehnjährigen mit der Auflage, es werde sich daran wahrscheinlich den Rest seines Lebens nichts ändern. Viel Spaß und gutes Gelingen!

Nun war es völlig egal, ob sich das in abend- oder morgenländischen Gesellschaften ereignete, ob die zornigen jungen Männer Christen, Juden oder Muslime waren. Sie brauchten keinen Klugscheißer, der ihnen erklärte, daß sie nur durch Kampf nach oben kommen, eine bessere Position erreichen und ein legitimes Sexualleben haben könnten.

Der Verteilungskampf um die Mittel für ein gutes Leben muß niemandem erläutert werden. Das kapiert man ganz von selbst, wenn man ein Habenichts wurde und anderen zusehen darf, wie sie ihre Vorteile genießen.

Stellen Sie sich vor, in zwei Jahrzehnten sind Ihnen mindestens zwei Generationen von jungen, waffenfähigen Männern herangewachsen, die nichts werden können und dazu verdammt wurden, den wenigen Bessergestellten bloß zuzuschauen. Werden die tatenlos bleiben?

Kein Fürst der Vergangenheit und kein Politiker der Gegenwart wollte abwarten, bis ihm dieses Gewaltpotential um die Ohren fliegt. Wollen Herrschende ein Ansteigen von Kriminalität, von Gewaltdelikten bremsen, die Gefahr von Bürgerkriegen vermeiden, müssen sie die zornigen jungen Männer loswerden. Sie müssen die kraftstrotzenden Kerle zwischen 15 und 30 beschäftigen oder exportieren.

Das ging seinerzeit, als man die Burschen etwa mit guten Gewehren ausrüsten konnte, um sie damit in Übersee auf Krieger mit Speeren, mit Pfeil und Bogen loszulassen.

Wohin sollte Europa heute einen allfälligen Überschuß an zornigen jungen Männern exportieren? Welchen Kriegen würden diese begegnen? Das Konzept ist Vergangenheit, denn die Welt ist dicht und nur mehr wenige unserer Frauen begleiten vier bis sechs Kinder ins Leben.

Heute ist die Welt eins. Wir hier sind die Bessergestellten mit dem guten Leben, bei dem uns alle (dank der Massenmedien) weltweit zusehen können. Kein Meer hält sie ab und keine bewaffnete Besatzung.

Das verschweigen die vaterländischen Schnösel, wenn sie ihre Andachtsbildchen und Schreckensvisionen an uns verteilen. Wir haben schon Jahrzehnte nicht genug Söhne um auch nur den Bruchteil jener Wachmannschaften zu stellen, die nötig wären, um wenigstens ein paar Zäune und Mauern zu besetzen.

Der dümmliche Ruf „Macht doch endlich die Grenzen dicht!“ unterschlägt die kluge Frage: „Mit welchen Wachmannschaften, bitteschön?“ Woher wollen wir Wohlstandskinder ausreichend Söhne nehmen, deren allfälligen Tod wir verschmerzen würden?

Kürzlich verlautbarte ein vaterländischer Parteichef, er würde Frau und Kinder im Kriegsfall niemals im Stich lassen, um in ein anderes Land zu flüchten. Was für eine zart gebaute Witzfigur, die meint, ein paar Runden Paintball könnten einem die Courage einflößen, sich trainierten, hungrigen Kämpfern zu stellen, denen keine Mutter mehr nachweint.

Wir sollten also besser genau hinsehen, was aus den letzten fünfhundert Jahren gelernt werden kann. Wir brauchen kulturelle, soziale und politische Mittel, um uns der Gegenwart und der nahen Zukunft zu stellen. Dabei helfen uns keine erigierten Kleinbürger, die in gebügelten Hemden einen auf harter Kerl machen.

Wir sollten möglichst flott klären, ob es uns gelingen kann, zügig für mehr Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen und uns über eigene, tätige Menschlichkeit zu qualifizieren, um keine Gewalt auf uns zu ziehen, wenn die Verteilungslage enger wird.

Das einheimische Muttersöhnchen, wenn es sich als vaterländischer Politiker zum soldatischen Mann stilisiert, hilft uns mit dieser abgemackerten Kerl-Nummer dabei einen Dreck. Diese Art von Klugheit haben wir in Verdun, in Auschwitz, zuletzt in Srebrenica verfeuert. Das ist voriges Jahrhundert, ohne jeden praktischen Wert für unsere Gegenwart und Zukunft. Wir müssen in den Fragen von Koexistenz vorankommen…

+) Kultur kurios: Überblick: [link]

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