Kultur kurios: Kool Killer
Begriffe bezeichnen Dinge. Sie sind nicht die Dinge, sie verweisen auf die Dinge. Was aber, wenn die Begriffe plötzlich wichtiger werden als die Dinge?
Na, dann sind wir in der Gegenwart unserer Kultur angekommen, vor allem in der Gegenwart unserer Wirtschaft und wie sie uns ihre Angebote andient.
Klingt das etwas merkwürdig? Unklar? Natürlich brauchen wir Dinge, Gebrauchsgegenstände, allerhand Güter, auch Dienstleitungen. Die brauchen wir, um unseren Alltag zu bewältigen. Unabhängig davon, unabhängig von Vernunft und praktischer Wirklichkeit, geht es längst (oder seit jeher) um viel mehr.
Was ich damit meine? Das Befriedigen von Grundbedürfnissen ist ein gutes Geschäft, doch kein auseichendes Geschäft. Da bleibt in unserem Land noch sehr viel Geld übrig, das abgeschöpft werden kann.
Kunst Ost hat derlei im Rahmen des heurigen Kunstsymposions zum Thema gemacht. Im Vortrag von Historiker Karl Stocker wurden rund um Design und die Geschichte der immateriellen Dinge solche Zusammenhänge betrachtet.
Stocker erinnerte an die Arbeiten von Jean Baudrillard, der in seiner Medientheorie unter anderem darstellte, wie Zeichen und Bezeichnetes auseinandergefallen sind; etwa in "Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen".
Weiterführend die Ausführungen von Marketing-Fachmann Norbert Gall (DAF Trucks), der in seiner Session „Die Farben der Geschwindigkeit“ das 20. Jahrhundert durchlief, um Werbestrategien am Beispiel des Generalfetisch Automobil zu erörtern.
Mit dem Round Table „Die Praxis des Kontrastes“ hat es nun zum Thema „Das Fremde“ eine Situation gegeben, die sehr deutlich machte, wie verführerisch symbolisches Handeln ist, wenn es sich mit vielversprechenden Mittteilungen schmücken darf.
Aber was meinen wir mit den wohlklingenden Worten? Was erwarten wir von vollmundigen Versprechen? Sind wir uns über Bedeutungen einig? Wenn wir keine klaren Begriffe haben, wissen wir nicht, worüber wir reden. Was also steht hinter den Botschaften von Wirtschaft und Politik? Können wir das öffentlich diskutieren, verhandeln?
Wie eingangs erwähnt, Begriffe verweisen gewöhnlich auf das, was sie bezeichnen. Aber wir haben uns längst daran gewöhnt, daß sie uns auch etwas anderes vorführen. Sind das nun Lügen oder Kulturleistungen? Wollen wir auch im Alltag über elegante Worte zu anderen Bildern geführt werden, wie wir das etwa in der Kunst bevorzugen?
Ich gebe ein paar konkrete Beispiele aus einem kurzen Rundgang durch Gleisdorf, um zu verdeutlichen, wonach zu fragen ist, wenn uns interessante Aussagen erreichen.
Wenn eine simple Signalname den Firmennamen „Nice“ aufgelegt bekommt, das englische Wort für „nett“, dann hat das mit realen Zusammenhängen nichts zu tun, sondern appelliert an ein Wohlfühlbedürfnis. Die Lampe möchte zu uns nett sein?
Was genau erfahre ich, wenn mir eine Geld-Agentur verspricht: „Paylife bringt eben in ihre Karte“? Eine lebendige Scheckkarte möchte ich mir im biologischen Sinn lieber nicht vorstellen. Die geschäftliche Lebendigkeit erbringe ich dann ja selbst durch meine Werktätigkeit, beziehungsweise eine Bank, die mir einen Überziehungsrahmen einräumt. Was also sagt dieser Slogan? Nichts! Er will nur eine Wohlfühlsache triggern.
Sehr originell finde ich, daß mir ein Autokauf mein „Design your Life“ ermöglichen soll, also die Gestaltung meines Lebens. Das bedeutet natürlich gar nichts. Meine Lebensplanung und -gestaltung hängt von ganz anderen Faktoren ab und keinesfalls von einem netten kleinen Auto, dessen Allerweltsdesign dieses Modell schon bald in völlige Bedeutungslosigkeit stoßen wird.
Sehen wir uns lieber nach etwas Nüchternem um, nach purer Nützlichkeit. Da stand auf dem Hauptplatz ein Ensemble von Riesentraktor und Kommunal-LKW. Auf beiden finde ich die Botschaft „herzgesteuert“. Nun flehe ich zu meinem Schicksal, das möge nie der Fall sein, ganz im Gegenteil, nur pure Vernunft eines versierten Menschen möge diesen Koloß durch unsere Straßen steuern.
Aber warum steht das da? Was bedeutet es? Genügt uns das Ausstreuen wohliger Sätze? Fühlen wir uns verpflichtet, solche Empfehlungen auch einzulösen?
Als vorerst abschließendes Beispiel ein Blatt vom Nachrichtenbrett im Kaufhaus Mörath. Ein Heilsversprechen. Da wäre jemand bereit, mir nicht bloß den Weg zu Weisheit, sondern zu „großer Weisheit“ zu zeigen; was immer das sein mag, die große im Gegensatz zur kleinen Weisheit.
Die Agentur dieser Wohltat hat einen bemerkenswerten Unternehmensgegenstand. Es ist ein „Zentrum für Studien der Selbsterkenntnis“. Nun sagen Sie mir: wie studiert man Selbsterkenntnis, vor allem wessen Selbsterkenntnis, und welcher Art sind die Studien darüber?
Ich setze der Einfachheit halber voraus, daß wir wissen, was denn überhaupt Selbsterkenntnis sei. Und Sie wissen jetzt hoffentlich etwas genauer, was mich in solchen Zusammenhängen beschäftigt. Wir leben eine Kultur, in der an vielen Stellen die Zeichen und die Begriffe es nicht mehr nötig haben, sich auf etwas Konkretes zu beziehen. Sie stehen für sich, feiern sich selbst, sind hübsch und wohltuend oder was auch immer.
Alles recht und schön, aber wie verständigen wir Menschen uns? Wie wissen wir, worüber wir reden? Wie kommunizieren wir womöglich in Krisensituationen, für deren Bewältigung taugliche Befunde über die Art der Krisen nötig sind?
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.