Gute Reise, Zombolini!
Ein Mann fällt aus unserer gemeinsam bewohnten Realität heraus, wird sich selbst zur Falle, aus der er keinen Ausweg mehr findet, greift nach einer Waffe, die es in fast jedem Haushalt gibt, einem Automobil, und wird zum Täter.
Wir wissen in diesen Stunden nichts über ihn, nur die Konsequenzen seiner Tat werden uns mitgeteilt. Seine Amokfahrt durch die Grazer Innenstadt hat Menschen getötet, andere verletzt, viele traumatisiert.
Was mich seit letzter Nacht via Internet zu diesem Vorfall erreicht, hat zwei markante Schwerpunkte. Der eine ist das Entsetzen über die Grausamkeit. Kaum etwas kann uns so sehr beunruhigen, wie eine vorsätzliche Tat, vor der es keinen Schutz gibt, die jede beliebige Person dort treffen kann, wo sie sich grade befindet; an keinem besonderen Ort, im Alltag.
Der andere Schwerpunkt ergibt sich aus wüsten Spekulationen über den Täter und das, was ihn ausmachen mag.
Ich habe zu all dem nach so wenigen Stunden nichts zu sagen, denn was die Opfer an Brutalität getroffen hat, verbietet Spekulationen ebenso wie die Schaustellerei eigener Befindlichkeiten. Aber am Rande des Geschehens hatte ich gerade eine merkwürdige Begegnung.
Roland Reischl, Chefredakteur der WOCHE Steiermark, publizierte einen Beitrag unter dem Titel „Graz trägt Trauer“. In der Kommentarleiste zu diesem Beitrag äußerte sich eine Person unter dem Pseudonym „Mil Zombolini“.
Der Eintrag lautet:
"’Er wurde nach häuslicher Gewalt am 28. Mai von seinem Wohnsitz weggewiesen’ Und solche Straftatenmigranten werden eingebürgert und erhalten obendrein noch üppige Sozialhilfe. Eine Zumutung!“
Natürlich weiß auch Mil nichts über den Täter, über Motive und Zusammenhänge. Der Tonfall ist geläufig, diese Art der notorischen Menschenverachtung hat System. Mil ist ein weitegehend unbeschriebenes Blatt, denn hier verbirgt sich jemand. Er hat auf diesem Portal „Beiträge: 0“ und „Kommentare: 103“.
Das bedeutet, Mil weiß nichts, hat auch nichts zu sagen, er kommentiert bloß, genauer, er simuliert Kommentare. Mil geht nämlich auf keine Sachlage ein, sondern benutzt bloß vorgefundene Artikel, um seine ungefähr drei Ansichten über die Welt immer wieder gleich zu deponieren.
Diese ungefähr drei Ansichten über die Welt handeln stets vom gleichen Thema, nämlich von seinem privaten Weltekel, den er an das Motiv „Immigranten“ und „Flüchtlinge“ geheftet hat. Da wiederum, folgt man seinen Kommentaren im Internet, hat er sich seine private Vorstellung von muslimischen Menschen gemacht.
An diesem Bild arbeitet er sich vorzugsweise ab. Zitat: „Bewahrt man Wurstwaren aus Schweinefleisch im Kühlschrank auf? Hier muss man sich natürlich an den Gast anpassen.“ Oder: „Der Fokus sollte endlich wieder vermehrt auf die brauchbaren und gebildeten Migranten gerichtet werden, anstatt auf die aggressiven Muslime.“
Die Zombolini-Postings sind von Sarkasmus und Abschätzigkeit getragen. An manchen Stellen wird auch deutlich, womit dieser Mensch ringt. Offenbar sieht er sich selbst als eine Fußnote der Gesellschaft, an den Rand gedrängt, unbeachtet. Möglicherweise verfügt er über kaum etwas, wodurch Menschen liebenswürdig erscheinen, Interesse erwecken, von anderen geschätzt werden.
Zombolini hat schon klar gemacht, an wem er seinen Unmut auslassen muß, um seinen Weltekel und sich selbst zu ertragen: Flüchtlinge, Immigranten, vor allem muslimische Menschen. Er offenbart aber auch, wem er sich unterlegen fühlt. Denen kann er nichts, also muß er sich an jenen austoben. Um wen geht es dabei?
Zombolini: „Refugees müssen in grosser Anzahl in besonders gut situierten Wohngegenden untergebracht werden, wo insbesondere die gewählten Volksvertreter, Künstler, Beamte und das gehobene Bürgertum residieren.“
Damit listet er auf, was ihn bedrückt, nämlich Menschen, die sozial besser gestellt sind als er und denen er sich intellektuell unterlegen fühlt. Dabei hat Zombolini keinen so schlechten Schreibstil, erscheint wortgewandt, ist also kein abgehalfterter Underdog.
Zombolini projiziert weiter: „In diesen elitären und gebildeten Kreisen sollte sicher gestellt sein, das der tumbe Pöbel die Refugees nicht vergrault und der Geist der Demokratie und religiöser Toleranz auf fruchtbaren Boden bei den Refugees fällt und diese inspiriert.“
Sie können das auch in anderen Zombolini-Postings finden. Der einen Gruppe fühlt er sich unterlegen, von der anderen fühlt er sich bedroht. Sowas kann Menschen sehr gefährlich werden lassen; zumal er offenbar nicht den Mumm hat, sich mit seinem Groll jenen zu stellen, die ja offenbar sein eigentliches Problem sind: Die „elitären und gebildeten Kreise“.
Und warum meidet er diese Herausforderung? Weil sie Arbeit bedeuten würde. Gebildet zu sein ist ja kein Geschenk des Himmels. Das holt man sich, das erarbeitet man sich. Die Bildungs-Zugänge sind rundum offen, die Quellen leicht zugänglich; vor allem seit das Internet für wenig Geld genutzt werden kann.
Aber diese Anstrengung scheut Zombolini. Drum veröffentlicht er auch auf dem WOCHE-Portal keine Beiträge, sondern bloß Kommentare, die eine endlose Aneinanderreihung von Abschätzigkeiten sind und aus Gründen der intellektuellen Kraftersparnis auch von ungezählten Wiederholungen handeln.
Dies ist eine Demokratie. Da darf man das natürlich. Aber es macht einen nicht interessanter und auch nicht liebenswürdiger. Zombolini wird also vermutlich mit seinen Minderwertigkeitsgefühlen und seinem Weltekel weiterhin allein bleiben, wird Schwächere suchen, auf deren Kosten er sich wichtig machen kann.
Oder aber, Zombolini entdeckt eines Tages, daß die Welt voller aufregender Menschen und Themen ist, daß man darüber viel erfahren kann, etwas lernen kann, weil Wissen nie weniger wird, wenn man es mit anderen teilt. Man möchte ihm zurufen: Gute Reise, Zombolini!
+) Roland Reischl: „Graz trägt Trauer“ [link]
+) Martin Krusche: „In der Ebene“ [link]
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