"Niemand will das Wort Demenz hören"

Wolfgang Schmid ist seit Jänner Demenzbeauftragter beim Hilfswerk für Klosterneuburg, Korneuburg und das Wiental. | Foto: Cornelia Grobner
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KLOSTERNEUBURG/KORNEUBURG/REGION PURKERSDORF (cog). Nein, Wolfgang Schmid schüttelt den Kopf: "Meine Eltern im Fall von Demenz zu pflegen könnte ich mir nicht vorstellen. Das ginge mir zu nahe." Diese Einsicht ist bei der Pflege von Angehörigen eine oftmals weise, wenn auch sehr schwere. Schmid wüsste worauf er sich einlässt: Er ist nicht nur mobiler Krankenpfleger, sondern seit Jänner auch Demenzbeauftragter beim Hilfswerk Klosterneuburg – ein bitter notwendiges Angebot, das derzeit noch wenig Anklang findet. "Die Angehörigen wollen das Wort Demenz nicht hören", weiß Schmid. Dass der Bedarf da ist, erlebt er jeden Tag: Verzweiflung, Überforderung und im schlimmsten Fall Gewalt.

Häusliche Gewalt

Die Dunkelziffer von häuslicher Gewalt im Spannungsfeld von familiärer Pflege schätzt Schmid hoch ein: "Ich glaube schon, dass da viel Gewalt passiert – gerade gegenüber Menschen im letzten Demenzstadium." Als mobiler Krankenpfleger ist er immer wieder mit Anzeichen davon wie blauen Flecken konfrontiert. Da brauche es noch viel Sensibilisierung.
Die Betreuung von demenzkranken Menschen erfordert viel Geduld und Gelassenheit und bringt selbst Fachkräfte manchmal an ihre Grenzen. Schmid: "Hektik und Stress müssen draußen bleiben, das macht Betroffene teilweise aggressiv, weil sie sich überfordert fühlen." Es gibt sieben Stufen von Demenz. Das Tückische: die ersten beiden können auch auf Altersdepression hinweisen. "Eine neurologische Abklärung ist wichtig", erklärt Schmid, "besonders auch deswegen, weil man anfangs mit Medikamenten noch einiges abfangen kann." Aufhalten lässt sich die Krankheit jedoch nicht.

Dilemma der Angehörigen

"Eine Schwierigkeit im Umgang mit der Krankheit war und ist in unserer Familie die Frage: Wie sehr lasse ich mich auf den dementen Zustand ein", berichtet Christian A., dessen Großmutter und Onkel an Demenz erkrankt sind, im Gespräch mit den Bezirksblättern Klosterneuburg. Er meint damit das Schauspiel, das aufrechterhalten werden kann, um Demenzkranke nicht zu irritieren, wenn sie in längst vergangene Zeiten zurückversetzt leben. Christian A.: "Einerseits sehen wir, dass es meinen Onkel beruhigt, wenn wir zum Beispiel so tun, als ob wir Heizöl bestellen, obwohl es schon längst keine Ölheizung mehr gibt. Andererseits fühlt es sich falsch an, weil wir das Gefühl haben, ihn nicht mehr als ganz voll zu nehmen."

Wichtige Biografiearbeit

Schmid meint zu diesem Dilemma: "Man muss den Betroffenen gehen lassen, ihn aber auch nicht wie ein kleines Kind behandeln. Wichtig ist, wenn er etwas falsch macht, nicht auch noch draufzusteigen. Aber ich weiß, das ist schwer und oft nervenzerrend. Wenn das nicht geht, dann ist es für alle besser, man entscheidet sich für ein Heim oder eine 24-Stunden-Pflege."
Hilfreich im Umgang mit Demenzkranken sei eine genaue Kenntnis der Biografie, da die PatientInnen zunehmend die Erinnerung verlieren. Sinneseindrücke wie der Geschmack von früher geliebtem Essen lassen Erinnerungen möglicherweise wieder aufleben. Außerdem können Bedürfnisse durch Wissen um die Biografie besser gedeutet werden. Denn Demenzerkrankte leben in ihrer eigenen Welt, in der die Vergangenheit dominiert.

Kerngeschäft Demenz

Im Agnesheim werden an Demenz erkrankte BewohnerInnen in eigenen Demenzgruppen betreut, um ihren speziellen Bedürfnissen besser entsprechen zu können. Insgesamt sind in dem Klosterneuburger Haus rund 65 Prozent der BewohnerInnen dement – in verschiedenen Graduierungen. "Die Pflege von demenzkranken Menschen ist mittlerweile unser Kerngeschäft", erklärt Direktor Michael Strozer. "Ganz wichtig wäre, dass Demenz in der Gesellschaft offen diskutiert wird und die Menschen sensibel dafür werden, wie diese Krankheit beginnt. Denn Betroffene verheimlichen ihre Demenz oft lange. Eine Enttabuisierung wäre wichtig." Die Ausbilungs- und Schulungssituation befindet er als zufriedenstellend. In seinem Haus ist es üblich, jene MitarbeiterInnen, bei denen Demenz in der Ausbildung kein Thema war, entsprechend nachzuschulen. Für die Zukunft müsse sich die Gesellschaft jedoch vorbereiten. Strozer: "Wir müssen sich gut darauf vorbereiten müssen, egal ob man das nun 'Aktionsplan' oder wie auch immer nennt. Das Problem wird massiver, so viel ist sicher."

KONTAKT ZUR DEMENZBERATUNG
Der Kontakt zu Wolfgang Schmid wird vom Hilfswerk Klosterneuburg unter 02243/32045 hergestellt. Das Angebot gilt sowohl für (möglicherweise) Betroffene als auch für Angehörige.

ZUR SACHE
"Alzheimer" ist die häufigste Form der dementiellen Erkrankungen. Als Demenz bezeichnet man Symptome, die aufgrund der Schädigung und Zerstörung von Nervenzellen im Gehirn zu einer kognitiven und physischen Leistungsminderung führen. Mit zunehmendem Alter steigt die Möglichkeit, an einer Demenz zu erkranken.
80 Prozent der Personen mit Demenzerkrankungen leben laut Schätzung der österreichischen Alzheimer-Gesellschaft zu Hause und werden von Angehörigen betreut. Laut Demenzbericht 2014 des Gesundheits- und Sozialministeriums leben in Österreich bis zu 130.000 Menschen mit Demenz.
„Weltweit tritt zurzeit alle sieben Sekunden ein Demenzfall ein“, zitiert Univ.-Prof. Dr. Stefanie Auer, wissenschaftliche Leiterin der MAS Alzheimerhilfe und Universitätsprofessorin für Demenzforschung an der Donau-Universität Krems, aus dem Welt-Alzheimer-Bericht. Die Versorgung von Menschen mit Demenz in Österreich stellt Politik und Gesellschaft vor immer größere Herausforderungen. „Medikamentöse Therapien zur Heilung der Krankheit sind nicht in Sicht. Damit steigt der Bedarf an speziellen Betreuungskonzepten, die eine interdisziplinäre Herangehensweise erfordern“, sagt Auer. Dafür ist eine entsprechende Ausbildung nötig.
Der große Bedarf an Fachkräften im Bereich soziales und medizinisches Management wurde schon früh von der MAS Alzheimerhilfe erkannt. Neben anderen Angeboten der Aus- und Weiterbildung an der „MAS Alzheimerakademie“ wurde daher 2009 gemeinsam mit der Donau-Universität Krems der postgraduale Universitätslehrgang „Demenzstudien“ ins Leben gerufen.

DownloadÖsterreichischer Demenzbericht 2014

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