Der Wahnwitz als Methode
Das Westbahntheater präsentiert Jonas Jonassons famosen Debütroman über einen hundertjährigen Ausreißer als liebenswert-durchgeknalltes Theater-Spektakel.
Möglicherweise haben Sie Ihr Auto auch schon mal als Kiste bezeichnet. Wie sinnfällig dieser Ausdruck ist, werden Sie spätestens nach diesem Theaterabend wissen. Auch wie schnell so ein Kistchen doch zu Schrott gehen kann. In Torsten Schillings aberwitziger Inszenierung jenes Bestsellerromans über einen abenteuerlustigen Greis, der ausgerechnet am Tag seines hundertsten Geburtstags urplötzlich aus dem Fenster steigt und verschwindet, fahren alle entweder auf oder mit Kisten, und zwar sprichwörtlich. Frau Kommissarin Lindström muss naturgemäß mit der Kleinsten auskommen, einem Holzkistchen, das sie bis zu den Hüften hochzieht, ehe sie loszuckelt, um den vermeintlich entführten Hundertjährigen und seine stetig anwachsende Entourage dingfest zu machen. Angesichts dieser kriminaltechnisch unzureichenden Ausstattung gönnt sie sich zumindest einen James-Bond-Klingelton, den sie – wer braucht eigentlich noch Einspielungen – auch noch selbst singen darf.
Dass sie sich zuletzt mit jener wilden Bande verbünden wird, die sie zunächst durch halb Schweden verfolgt hat, wer mag es ihr nachsehen. Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine sei, steht schon in der Bibel. Und irgendwie scheinen die Menschen, die Allan Karlsson nach seinem schwedischen Abgang aus dem Altersheim so begegnen, alle nacheinander gesucht zu haben. Die 50 Millionen Kronen, die er sich gleich zu Beginn irrtümlich unter den Nagel reißt, erweisen sich dabei nicht etwa als Spaltpilz, sondern vielmehr als geradezu läuterndes Bindemittel.
Hinzu kommt, dass der lebenslustige Greis Geschichten auf Lager hat, welche quasi die Weltgeschichte des letzten Jahrhunderts in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen. Wie es der Zufall oder der Lauf der Dinge so will, wird der Sprengstoffexperte nahezu allen namhaften Führern des 20. Jh. begegnen bzw. ihnen den einen oder anderen Dienst erweisen. Wer den Roman kennt, weiß: Da wird einiges an Stoff verhandelt. Umso beachtlicher ist es, dass es in der Theaterfassung tatsächlich gelingt, die Spannung zu halten. Dies liegt natürlich nicht zuletzt an Schillings konsequent durchgezogenen Inszenierungsansatz, mit dem die ohnehin schon skurrile Handlung quasi noch spielerisch überhöht wird.
Dass der Ansatz tatsächlich aufgeht und die immerhin zweieinhalb Stunden wie im Flug vergehen, ist indes ganz klar der erstklassigen Besetzung und der überbordenden Spielfreude eines jeden Einzelnen geschuldet. Sei es Grandseigneur Günter Gräfenberg als Allan, Hausherr Konrad Hochgruber als sein erster Kumpan Julius und später (man halte sich fest) als Stalin, Luka Oberhammer als die schöne Frau mit Elefantenanhang und schließlich noch als herrlich verhuschter Herbert Einstein, Therese Hofmann als Kommissarin, Christoph Stoll als Benny und Truman, Markus Pinter als junger Allan und schließlich noch als Mao. Ebenso überzeugend in ihren wechselnden Rollen: Sandro Gusmerotti, Dominik Unterthiner, Herbert Redinger, Christoph Tauber, Susi Mair, Sonja Rudolf.
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