Kultur kurios: Alles steirisch?
Aktuelle Wahlwerbung empfiehlt mir: „Steirerland in Steirerhand“. Gut für mich, der ich ein „waschechter Steirer“ bin. Auch wenn man mich noch so heiß baden oder kräftig schrubben wollte, das ginge nicht ab. Oder?
Was genau ist denn „Steirerland“? Wessen Hand ist „Steirerhand“? Das erklärt uns die wahlwerbende Partei leider nicht. Darum frage ich höflich: „Wie meinen Sie das?“ Muß ich mir um meine Identität Sorgen machen? Ich hab nämlich so einen Hang zu europäischen Dimensionen.
Eines dürfen wir ja sicher ausschließen. Als unsere Leute sich noch für „Herrenmenschen“ hielten, träumten viele ganz gerne: „Alles in deutscher Hand!“ Solche Schelmenstücke in steirischer Variante wollen wir unberücksichtigt lassen.
Daher meine ausdrückliche Frage: Wie wird man Steirer und was macht die Steirerin aus?
Ich treffe mich übrigens diese Woche mit einem Mann, der größte Chancen hat, demnächst wieder Bürgermeister einer Gleisdorfer Nachbargemeinde zu werden. Hört man ihn allerdings sprechen, wird offenkundig: seine Wiege stand in Kärnten. Ist der Mann jetzt ein Steirer mit einer paktfähigen Steirerhand? Falls ja, wodurch wurde er dazu? Falls nein, wieso wird er dann ein steirischer Bürgermeister?
In einem meiner Projekte habe ich mit einem erfolgreichen Unternehmer aus der IT-Brache zu tun. Er ist weltweit tätig, muß für einen günstigen Geschäftsverlauf andauernd Amerika, Indien, China, bereisen. Daher ist es wurscht, wo er seinen Firmensitz hat, herumfliegen muß er sowieso, demnach entschied er sich für einen schönen Standort in der Oststeiermark.
Hört man ihn reden, fällt einem nichts auf. Aber sein Elternhaus steht im Burgenland. Er ist also kein Steirer, gerade einmal erste Generation im Steirerland. Da er aber hier seine Steuern zahlt, also seinen Lebensmittelpunkt in unserer Region hat, ist er dennoch ein Steirer?
Falls nein, könnte er einer werden? Falls ja, was wäre dazu nötig?
Apropos IT-Branche und dauernd reisen. Italien, Deutschland, Holland, Amerika, Japan… Sie wuchs in Serbien auf, kam während des Jugoslawienkrieges nach Österreich, genauer: nach Graz, ist als Diplom-Ingenieurin beruflich hoch aufgestiegen und schon lange österreichische Staatsbürgerin.
Ist das eine Steirerinnenhand, die da zum Wohle der heimischen Wirtschaft wirkt?
Die Empfehlung „Steirerland in Steirerhand“ bezieht sich möglicherweise auf einheimische Menschen, im Wortsinn „indigene“ (eingeborene) oder autochthone (erdentsprungene) Menschen, also hier geborene Leute. Würde das genügen, wären die Kinder von Eingewanderten, so sie hier geboren wurden, „echte Steirer“; sind sie aber nicht, wenn man der aktuellen Wahlwerbung glauben darf.
Wie geht es also dann zu, eine authentische Steirerhand zu bekommen? Nun sind freilich die Kärntner und Burgenländer leider auch keine Indigenen, keinen Autochthonen, ebenso die Wienerinnen und Vorarlbergerinnen nicht; all diese Herkünfte können Sie bei uns in Gleisdorf aufstöbern. Allesamt Fremde, keine Steirerinnen und Steirer?
Vielleicht geht es anders. Wir unterscheiden ja zwischen „Bios“ und „Ethnos“. Was ist die Sache des Leibes, des Blutes, und was die Sache der Kultur?
Das hilft uns leider wenig weiter, half uns ein halbes Jahrtausend wenig, als das Haus Habsburg ein multiethnisches Imperium von Weltrang war; und heute, da wir alle reisen können, beruflich viel herumkommen (falls man kein Stubenhocker ist), helfen diese Kategorien auch nichts. Geburt und erworbene kulturelle Kompetenzen sind nicht miteinander vernietet und verschweißt.
Mir sind allerhand britische, bulgarische, finnische, irische, kosovarische, mazedonische, russische, schwedische, serbische Leute in Bildung, Weltanschauung und Horizont viel näher, viel vertrauter, als eine Legion von zwischen Bad Aussee und Bad Radkersburg geborenen vaterländischen Anhängern des „Steirerhändischen“.
Das hat kulturelle und auch wirtschaftliche, also geschäftliche Gründe. Ich möchte sogar behaupten und kann belegen, daß es KULTURELL eine Dimension EUROPAS gibt, in der wir uns über einige gemeinsam nutzbare Sprachen wie Deutsch, Englisch, Spanisch und etwa Südslawisch (Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Slowenisch) vorzüglich verständigen können, also eine große kulturelle Gemeinschaft sind, die über unsere Landesgrenzen hinausreicht.
Darin gibt es gemeinsame Überzeugungen, was Menschenwürde und Menschenrechte betrifft. Darin gibt es gemeinsame Wertschätzung für bedeutende Kunstwerke. Darin gibt es wichtige wirtschaftliche Kooperationen.
Wer von all denen für kulturelle Eigenheiten von japanischen, koreanischen, auch diversen afrikanischen Leuten taub wäre, mit Amerikanern und Russen keine Verständigung fände, müßte der Steiermark eine Reihe glänzender Geschäfte schuldig bleiben. Unsere österreichische Außenhandelsbilanz wäre etliche Stockwerke tiefer angelangt.
Wir haben zum Glück die Enge von Keuschlern, Kleinhäuslern und Taglöhnern hinter uns. Da war in den Winkeln, Tälern und Gräben von der Welt nichts zu erfahren und kaum je eine andere Sprache zu hören, außer es kam der Krieg.
Heute erreicht uns die Welt via Medien und über die Wirtschaft, durch Reisende und durch Flüchtende; aber auch, weil wir selbst immer wieder in die Welt hinaus müssen, egal, ob aus Vergnügen oder fürs Geschäft. Was also bedeutet da in der Praxis „Steirerland in Steirerhand“?
+) Die Serie "Kultur kurios" [link]
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